Das wachsende Machtstreben Chinas stellt aus Sicht Japans «die grösste strategische Herausforderung» dar. Darauf sollte Japan durch «Kooperation und Zusammenarbeit» mit seiner Schutzmacht USA und anderen «gleichgesinnten Ländern» reagieren, heisst es im neusten von der Regierung des japanischen Ministerpräsidenten Fumio Kishida abgesegneten Weissbuch zur Verteidigung.
Es folgt auf eine im Dezember vollzogene Änderung der japanischen Sicherheitsstrategie: In Abkehr von der bislang ausschliesslich auf Verteidigung ausgerichteten Sicherheitsdoktrin will sich Japan in die Lage versetzen, feindliche Raketenstellungen auszuschalten. Die Ausgaben für die eigenen Streitkräfte werden massiv angehoben.
Die neue Verteidigungsstrategie und das Weissbuch zeigen, wie besorgt Japan über Chinas zunehmendes militärisches Machtstreben ist. So wird in Japan befürchtet, dass das benachbarte Riesenreich ähnlich wie Russland bei der Ukraine eines Tages nach dem demokratischen Taiwan greifen könnte.
Angriff auf Taiwan «realistisch»
Martin Fritz, freier Korrespondent in Japan, kennt das spannungsvolle Nebeneinander der beiden Wirtschaftsmächte seit Jahrzehnten. Für ihn zeigt die alarmierte Wortwahl in dem Weissbuch: «Japan stellt sich darauf ein, dass China Taiwan womöglich in naher Zukunft erobern will. Man hält ein solches Szenario für realistisch.»
Für die aktuelle Bedrohungslage gab es letzten Donnerstag ein «ausdrucksstarkes Bild», wie es Fritz nennt. Nämlich eine Militärparade in Pjöngjang, der Hauptstadt Nordkoreas. Daran nahmen russische und chinesische Delegierte gemeinsam mit Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un teil.
Bei der Militärparade wurden nach Angaben staatlicher nordkoreanischer Medien neu entwickelte Drohnen und atomare Langstreckenraketen des Landes vorgestellt.
China und Russland stützen Kim-Regime
«Hochrangige Mitglieder zweier Dauervertreter im UN-Sicherheitsrat unterstützen also Nordkoreas nukleare Aufrüstung», folgert Fritz. Eine solche gemeinsame Geste von China und Russland für Nordkorea hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. «Beobachterinnen und Beobachter sprechen daher von einem Kalten Krieg 2.0 in Ostasien.»
Laut Einschätzung des Korrespondenten richtet sich das Weissbuch der japanischen Regierung an zwei Adressaten. Zum einen China und Nordkorea: Sie sollen wissen, wie ihr Säbelrasseln in Japan eingeschätzt wird und dass sich das Land auf eine mögliche Eskalation vorbereitet. Vor allem aber solle die japanische Öffentlichkeit auf die sicherheitspolitische Zeitenwende im Land eingeschworen werden – die einhergeht mit militärischer Aufrüstung.
Die ambitionierten Ziele zu erreichen, werde aber eine Herkulesaufgabe, schliesst Fritz: «Die Bevölkerung steht zwar hinter der Aufrüstung, will dafür aber nicht mit neuen Steuern bezahlen. So gross ist die Kampfbereitschaft dann doch nicht.» Vor allem aber würden Japan aufgrund der Überalterung der Gesellschaft schlichtweg die Berufssoldaten fehlen, um eine grosse Armee zu unterhalten.