Am Samstag sind die Anhängerinnen und Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump abermals auf die Strasse gegangen – in Solidarität zu jenen Personen, die am 6. Januar 2021 verhaftet worden sind und denen nun der Prozess gemacht wird.
Der Sturm auf das Kapitol hat deutlich gemacht, wie sehr die Gesellschaft in den USA gespalten ist. Es macht sich eine Gesinnung breit, die als christlicher Nationalismus beschrieben wird. Cora Alder erforscht ihn.
SRF News: Transparente und Fahnen, die sich auf Jesus oder Gott berufen. Sind die Leute, die das Kapitol gestürmt haben, religiöse Christen?
Cora Alder: Das wäre zu generalisierend. Es war eine bunte Masse, die aus unterschiedlichen Gründen beim Kapitol war.
Im Mittelpunkt steht deren Erhaltung oder die Wiederherstellung der Vorherrschaft eines identitären Christentums.
Ist denn der christliche Nationalismus eine eigene Glaubensrichtung?
Nein, und auch keine bestimmte Religionsgemeinschaft. Unter christlichem Nationalismus versteht man eine Ideologie, die aus Identitäten, Werten und verschiedene historischen Narrativen zusammenkommt. Im Mittelpunkt steht deren Erhaltung oder die Wiederherstellung der Vorherrschaft eines identitären Christentums.
Gegner argumentieren, dass der christliche Nationalismus aus theologischer Sicht nicht vertretbar ist.
Es geht darum, dass die US-Regierung Christinnen und Christen Privilegien einräumt, um den christlichen Charakter der Nation in der öffentlichen Alltagskultur sicherzustellen.
Wie reagieren gläubige Christinnen und Christen in den USA, die sich mit diesem aufgeladenen Nationalismus nicht identifizieren können?
Da muss man ein wenig differenzieren. In den USA gibt es ganz verschiedene Denominationen. Der christliche Nationalismus ist nicht überall gleich präsent, sondern vor allem in Kreisen von weissen Evangelikalen. Es gibt auch Stimmen, die sich dagegen aussprechen. Gerade nach dem 6. Januar haben sich kleinere Gruppierungen gebildet, zum Beispiel «Christians against Christian Nationalism». Sie argumentieren, dass der christliche Nationalismus aus theologischer Sicht nicht vertretbar ist. Bis jetzt ist es aber noch unklar, wie hoch die Wellen sein werden, die diese «Countervoices» schlagen können.
Warum haben diese Menschen mit christlichen Grundwerten ausgerechnet Donald Trump als Anführer ausgesucht?
Das Spezielle an Trump war, dass er sich zu Beginn nicht so fest als christlicher Kandidat inszenierte. Nach und nach näherte er sich aber dieser Ideologie und richtete auch sein politisches Programm darauf aus. Er wolle das christliche Erbe verteidigen, wie nie jemand zuvor, hat er mal gesagt.
Warum hat sich dann die Bewegung unter Trump radikalisiert?
Es war eine Art Symbiose. Die Zugehörigen des christlichen Nationalismus hatten den direkten politischen Einfluss auf das Weisse Haus erhalten – und Trump konnte sich einer gewissen Zustimmung sicher sein. Das war vielleicht ein Hindernis, um sich gegen militante Gruppierungen auszusprechen.
Es gibt den christlichen Nationalismus auch in Europa.
Wie soll nun Joe Biden dem christlichen Nationalismus begegnen?
Momentan begegnet Biden dem Nationalismus nicht direkt. Seine Politik fokussiert eher auf Gruppen wie die «Proud Boys» oder die «Oath Keepers». Dort hat er eine Studie in Auftrag gegeben, um diesen «Domestic Terroris»-Aspekt zu untersuchen. Generell ist es wichtig, dem christlichen Nationalismus gesamtgesellschaftlich zu begegnen.
Ist christlicher Nationalismus ein rein amerikanisches Phänomen oder gibt es ihn auch in Europa?
Es gibt ihn auch in Europa. Oftmals spricht man aber nicht vom christlichen Nationalismus, sondern von populistischen Bewegungen, die christliche Symbole benutzen oder Anspielungen darauf machen.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.