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Corona-Impfstoff Curevac – eine ziemlich deutsche Geschichte

Im Rennen um die Entwicklung eines mRNA-Impfstoffs lag das Tübinger Unternehmen Curevac lange vorne. Die Gründe seines Scheiterns zeigen gleichzeitig, was Deutschland kann und was nicht.

Es geschah am Freitag, dem 13. März 2020. Ingmar Hoerr hatte am Vortag in Berlin einen nervösen Gesundheitsminister Jens Spahn getroffen, um ihn über die Möglichkeiten der neuartigen mRNA-Impfstofftechnologie zu informieren. In diesen Tagen wurden die ersten Corona-Toten beklagt, Grossveranstaltungen abgesagt und der erste Lockdown stand unmittelbar bevor. Und Gerüchte machten die Runde, dass Präsident Trump den Impfstoff des Tübinger Unternehmen Curevac exklusiv für die USA sichern wolle.

Ingmar Hoerr – der Pionier der mRNA-Impfstoffe

Curevac-Gründer Ingmar Hoerr war einer der ersten, der das Potenzial von mRNA-Impfstoffen erkannt und erforscht hatte. Seine Doktorarbeit aus dem Jahr 2000 beschäftigte sich bereits mit mRNA als Botenstoffen, als Bauanleitung von Antikörpern: Also genau damit, was im Prinzip die Idee des heutigen mRNA-Impfstoffs ist.

Damals gründete er mit zwei Mitstreitern die Firma Curevac. Mit dabei auch Steve Pascolo, der sich 2003 als erster Mensch im Selbstversuch mRNA spritzte und heute an der Universität Zürich forscht. Doch der Weg, Geldgeber und Mediziner von dieser Technologie zu überzeugen, war ein steiniger. Dann kam der Frühling 2020 und Corona. Curevac und die mRNA-Technologie wurden auf die Weltbühne katapultiert.

Freitag, der Dreizehnte, der alles veränderte

Doch am Tag nach dem Treffen mit Jens Spahn, brach Hoerr am Morgen des 13. März in seinem Hotelzimmer zusammen: Ein Aneurysma war geplatzt - Gehirnblutung. Sechseinhalb Wochen später erwachte er aus dem Koma. Am Fusse seines Bettes entdeckte er die Patientenakte eines «Paul Kern». Viele Pfleger sprachen Russisch. Hoerr befürchtete, er sei vom KGB, dem Geheimdienst Weissrusslands, entführt worden. Als er seine Frau erkannte, formulierte er einen stummen Hilferuf, denn wegen der Beatmungsschläuche konnte er nicht sprechen. «Hol mich hier raus! Du bist meine Frau. Geh nicht! Die bringen mich um!» So schildert er es in seinem Buch, das er mit dem Wissenschaftsjournalisten Sascha Karberg geschrieben hat. Es dauerte Monate, bis Hoerr ins Leben zurückfand.

Ingmar Hoerr
Legende: Curevac-Gründer Ingmar Hoerr war einer der ersten, der das Potenzial von mRNA-Impfstoffen erkannt hatte. Keystone

Das Rennen um einen Impfstoff machten in der Zwischenzeit das Mainzer Unternehmen Biontech und die US-Firma Moderna. Im Juni dieses Jahres wurde bekannt, dass der Impfstoff von Curevac nur einen Wirkungsgrad von 48 Prozent hat. Eine Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA ist fraglich. Dass Ingmar Hoerr im entscheidenden Moment vom Schicksal ausgeschaltet wurde, ist ein Grund, aber nur einer, dass Curevac vorerst scheiterte. Auch, dass Curevac teilweise auf andere Technologien setzte als Biontech, ist nicht allein ausschlaggebend. Es gibt auch strukturelle Gründe.

Das «Tal des Todes» der deutschen Biotech-Branche

Es ist kein Zufall, dass Ingmar Hoerr erfolgreich in Tübingen forschte. Deutschland wird regelmässig eine exzellente Grundlagenforschung bescheinigt. Auch die Förderung von Start-ups funktioniert. Aber die Phase danach, das sogenannte «Tal des Todes», ist für deutsche Biotech-Unternehmen nur schwer zu überwinden. Nach Experimenten mit Mäusen folgen klinische Studien, und es vergehen durchschnittlich zwölf bis fünfzehn Jahre bis zur Zulassung eines neuen Medikamentes und ersten Erlösen. Um diese Durststrecke zu überwinden brauchte es Investoren mit Mut und Geld, Millionen an Risikokapital und einen langen Atem. Und das fehlt in Deutschland.

Einige Zahlen: 1998 wurden in Deutschland 160 Millionen Euro Risikokapital in die Biotech-Branche investiert, in den USA 1.9 Milliarden Dollar, zwölfmal mehr als in Deutschland. Doch von einer Aufholjagd in Deutschland kann keine Rede sein. 2016 wurde sogar 50-mal mehr Risikokapital in den USA investiert als in Deutschland.

Kaum Börsengänge in Frankfurt

Sogar in der Schweiz floss 2017 in absoluten Zahlen mehr als doppelt so viel Risikokapital in die Biotech-Branche als in Deutschland. 2018 überholte Deutschland die Schweiz zwar, aber nur deshalb, weil das inzwischen weltberühmte Mainzer Unternehmen Biontech damals 228 Millionen Euro an Wagniskapital erhielt.

Genug Geld gäbe es in Deutschland: Jährlich würden 500 Milliarden Euro in Renten-, Immobilien- oder andere Fonds mit vergleichsweise niedrigem Risiko investiert, sagt Holger Zinke, Wissenschaftler und Unternehmer. Er ist Gründer eines der wenigen erfolgreichen Biotech-Unternehmen in Deutschland, hat verschiedene Biotech-Branchenverbände gegründet und engagiert sich an der Schnittstelle zwischen Forschung und Anwendung.

In Deutschland habe es zwischen 2007 und 2017 nur gerade zwei Börsengänge von Biotech-Unternehmen gegeben, sagt Zinke, eines war seine eigene Firma B.R.A.I.N. «Frankfurt ist im Bereich der Biotechnologiefinanzierung praktisch bedeutungslos, obwohl es eigentlich das Finanzmarktzentrum ist.» Und deswegen gebe es auch keine Analystenkultur, bei der Spezialisten aus Kapitalmarktsicht Unternehmen bewerten. Ganz anders ist die Lage an der US-Technologiebörse NASDAQ. Der US-Impfstoffhersteller Moderna begann 10 Jahre nach Curevac, hatte aber 2017 dreimal mehr Kapital als die Tübinger zur Verfügung.

Kreissparkasse Tübingen als Retter der Curevac

2002 musste die Kreissparkasse Tübingen das Unternehmen Curevac vor der Insolvenz retten. «Das können wir ohne Weiteres machen. Ihr seid an der Universität Tübingen, ihr seid promoviert, ihr werdet irgendetwas finden, um die hunderttausend Euro zurückzuzahlen», habe ein Bankangestellter gesagt. Ausgerechnet ein Bankangestellter der Kreissparkasse Tübingen zeigte den Spirit, den Hoerr und Zinke in Deutschland so vermissen.

Curevac Firmenstandort in Tübingen
Legende: Firmenzentrale in Tübingen des Biotech-Unternehmens Curevac Keystone

Aber das allein hätte nicht gereicht, um das Fortbestehen von Curevac zu garantieren. Der Gründer des IT-Unternehmens SAP, Dietmar Hopp, investierte in Curevac. Auf internationaler Ebene engagierte sich die Bill&Melinda Gates Stiftung für die Tübinger. Biontech wurde durch das Mäzenatentum der Gebrüder Strüngmann gefördert. Aber das sind Ausnahmen, Leuchttürme, keine Strukturen.

Biontech ist erfolgreiche Ausnahme

Das Rennen um einen ersten mRNA-Impfstoff machte das Mainzer Unternehmen Biontech von Ugur Sahin und seiner Frau Özlem Türeci. Bereits 2018 waren die Mainzer eine Kooperation mit dem umsatzstärksten US-Pharmaunternehmen Pfizer eingegangen. Pfizer hatte Geld, Erfahrung mit klinischen Versuchen und dem Zulassungsprozess. Curevac ging erst anfangs dieses Jahres eine Kooperation mit Bayer ein und hatte offenbar Probleme bei den klinischen Versuchen.

Vielleicht ist Biontech in Deutschland eher die Ausnahme, als die Regel. Curevac ist dagegen ein gutes Beispiel dafür, was Deutschland kann -und was in Deutschland nur schwer möglich ist.

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