Es ist ein Paradox: Das Land von Louis Pasteur, dem Erfinder des Impf-Prinzips, gehört zu den impfkritischsten Ländern Europas. Nach neuesten Umfragen hält einer von drei Franzosen den Impfstoff gegen das Coronavirus für nicht sicher und nur knapp einer von zwei hat vor, sich impfen zu lassen.
Skandale und Kommunikationspannen
Das tiefe Misstrauen in Frankreich kommt nicht von ungefähr. Seit den 80er-Jahren wird das Land immer wieder von Gesundheitsskandalen erschüttert. 1994 scheiterte eine Hepatitis-B-Impfkampagne krachend, als ein Zusammenhang mit dem Auftreten von Multiple Sklerose vermutet wurde. Auch wenn sich dieser als falsch herausstellte, brach die Regierung die Übung überhastet ab.
2009 bestellte Frankreich Abermillionen Dosen Impfstoff gegen die am Ende doch nicht so gefährliche Schweinegrippe H1N1 und setzte viel Geld in den Sand. Als im selben Jahr bekannt wurde, dass das als Schlankheit-Wundermittel bekannte Diabetes-Medikament Mediator für gut 2000 Todesfälle verantwortlich war, war jedes Vertrauen dahin.
Françoise Salvadori, Dozentin für Immunologie an der Université de Bourgogne unterscheidet zwar zwischen Gesundheitsskandalen mit Toten und verheerenden Kommunikationspannen, «aber sobald aus der Politik widersprüchliche Signale kommen, haben wir das Gefühl, dass wir angelogen werden, dass der Gesundheitsminister uns anlügt».
Vorteile versus Risiken
Auch die Geschwindigkeit mit der die Pharma-Industrie einen Impfstoff herstellen und nun vermarkten konnte, trägt ebenso wenig zur Vertrauensbildung bei. Beim Impfen würden die Vorteile gegenüber den Risiken aber stets überwiegen, ist die Immunologin überzeugt. «Im 18. Jahrhundert spritzte man gegen Pocken Eiter aus den Beulen unter die Haut. Daran starb einer von 100, das ist enorm. Die Krankheit selbst raffte aber einen von fünf dahin.» Viele Krankheiten konnten durch Impfungen medizinisch ausgerottet werden.
Wegen der hohen Impfskepsis in Frankreich ist der Impfschutz gegen Masern oder Röteln inzwischen aber nicht mehr gewährleistet. Salvadori gibt zu, dass Impfungen heute lokal Schmerzen, Entzündungen oder Fieber verursachen können. «Ich denke aber, dass Risikopatienten, die am Virus sterben könnten, lieber zwei Tage lang der Arm wehtut.»
Umstimmung durch Hausarzt
Wie man die Franzosen gegen ihre tief sitzenden Ängste immunisieren kann, ist unklar. Françoise Salvadori setzt darauf, dass, wenn der Impfstoff dann verfügbar ist, sich viele von ihren Hausärzten umstimmen lassen.
«Das Misstrauen ist auch eine Art zu sagen, dass man Angst hat.» Der Handlungsbedarf ist erkannt. Die französische Regierung investiert 1.5 Milliarden Euro in die Impfkampagne gegen das neuartige Coronavirus.