In Russland steigen die täglich gemeldeten Neuinfektionen im Rekordtempo. Zuletzt wurden mehr als 36'000 Ansteckungen registriert – so viele wie noch nie seit Beginn der Pandemie. Angesichts dieser Zahlen hat Präsident Wladimir Putin für das ganze Land eine «arbeitsfreie Woche» ausgerufen. Vom 30. Oktober bis zum 7. November sollen Arbeitnehmende zu Hause bleiben und es soll einen «Lockdown light» geben. Dieser sieht je nach Region anders aus.
In Moskau beginnt diese «arbeitsfreie Woche» bereits zwei Tage früher als im Rest des Landes. Während rund zehn Tagen werden dort alle Geschäfte mit wenigen Ausnahmen wie etwa Lebensmittelläden und Apotheken geschlossen bleiben. Speziell: Während Kinos geschlossen bleiben müssen, dürfen Theater und Museen unter Auflagen weiter offen bleiben. In der beliebten Ferienregion Sotschi am Schwarzen Meer gelten wiederum andere Bestimmungen. Insgesamt sind es die härtesten Einschränkungen in Russland seit dem Frühling 2020.
Kritik an Höhe der Zahlungen
Laut Luzia Tschirky, Russland-Korrespondentin von Fernsehen SRF, ist es die grösste Belastungsprobe für die betroffenen Branchen seit Beginn der Pandemie. Doch im Unterschied zu damals komme dieser «Lockdown light» weniger überraschend, sagten zum Beispiel Restaurantbesitzer in Moskau. «Was die angekündigten Kompensationen betrifft – die Unternehmen sind ja weiterhin verpflichtet, die Löhne zu bezahlen –, so gibt es durchaus kritische Stimmen, die sagen, dass diese Zahlungen bei weitem nicht ausreichend seien.»
Andere Unternehmen wiederum betonen laut Tschirky, dass es das Wichtigste sei, dass die Massnahmen nach Ablauf der angekündigten Frist auch wieder aufgehoben werden – und nicht wie im März vor einem Jahr von einer Woche auf insgesamt zwei Monate ausgedehnt werden.
Kein Vertrauen in die Regierung
Dieser Tage verzeichnet Russland nicht nur einen Höchststand an Neuansteckungen, sondern auch an Coronatoten. Nach Einschätzung der Korrespondentin liegt das an der tiefen Impfquote. «Ich gehe davon aus, dass die Zahl der tatsächlich Geimpften sogar noch viel tiefer ist als die offizielle Zahl, da es vor allem zu Beginn viele gab, die sich ein Impfzertifikat gekauft haben.»
Sie hätten Personen im Gesundheitswesen bestochen, damit diese ihnen einen Impfpass aufstellen. «Von solchen Fällen habe ich im eigenen Umfeld gehört», so Tschirky. Hinzu komme das unterfinanzierte Gesundheitssystem. Es mangle etwa an Fachkräften auf Intensivstationen.
In Russland würden zudem viele Menschen der Politik des Kremls misstrauen. «Im Alltag der Menschen ist der Staat in vielen Fällen oft ein störender, ja ein negativer Faktor.» Zugelassen sind in Russland aber nur russische und chinesische Impfstoffe, keine westlichen. «Es gibt somit keine alternativen Impfstoffe für all jene, die der Politik gegenüber kritisch eingestellt sind.»
Sputnik V, der erste und bekannteste in Russland entwickelte Impfstoff, sei von Anfang an am stärksten angepriesen worden. «Doch wenn die Menschen der Politik nicht vertrauen, so ist es schlicht unmöglich, dass sie einem Impfstoff vertrauen, der politisch instrumentalisiert wird.»
Diese Strategie zu überdenken, wäre angebracht, findet Tschirky. «Doch es gehört zu den grundsätzlichen Problemen seitens des Kremls, dass es als eine Schwäche angesehen wird, eigene Fehler öffentlich einzugestehen und entsprechend eine Änderung anzukündigen.» Ein Umschwenken in der russischen Pandemie-Politik sei deshalb sehr unwahrscheinlich.