Grossbritannien durchlebt dramatische Tage. Zur besten Sendezeit muss der Premierminister im Fernsehen verkünden, dass es vielerorts ein einsames Weihnachtsfest geben wird. Eine neue, offenbar weit ansteckendere Mutation des Coronavirus lässt die «Christmas-Bubble» platzen.
Zehn Mitglieder aus drei Haushalten hätten sich eigentlich über die Festtage treffen dürfen. Daraus wird nichts. «Schweren Herzens muss ich Ihnen sagen, dass wir mit Weihnachten nicht so weitermachen können wie geplant», verkündete Johnson am Samstag. Die geplanten Lockerungen für London und Teil Südenglands werden aufgehoben.
Kein Grund zur Panik?
Damit nicht genug: Im europäischen Ausland werden Britinnen und Briten zu unerwünschten Personen. Mehrere Länder, darunter auch die Schweiz, stoppen den Flugverkehr aus dem Königreich. Und: Britische Touristen, die etwa in ihrem Lieblingsdomizil Verbier (VS) die Pisten hinuntersausen, sollen rückwirkend in Quarantäne.
Zur Hölle mit der EU!
Weltweit haben Staaten ihre Verbindungen ins Königreich gekappt. Die Grenzen sind geschlossen, der Güterverkehr unterbrochen, der Eurotunnel zu. Gleiches gilt für die Fährhäfen. Es geht ans Eingemachte. Drei Tage vor Heiligabend wächst nun gar die Angst vor einer Versorgungskrise im Land.
«Kein Grund zur Panik», versichert die britische Regierung. Die Warenlager seien voll. «Die Grossverteiler hingegen relativieren, dass dies nur für einige Tage zutreffe, weil frische Nahrungsmittel knapp werden könnten», berichtet SRF-Korrespondent Patrik Wülser. Denn Salat, Blumenkohl oder Broccoli gedeihen im britischen Winter nicht besonders gut und werden vornehmlich aus der EU importiert.
Sinn und Unsinn der Blockade werden auch auf dem europäischen Festland kontrovers diskutiert. Zumal das mutierte Virus bereits auf dem Kontinent nachgewiesen wurde. Auf der anderen Seite des Ärmelkanals gibt es Unverständnis. Die britische «Times» schreibt etwa «Europa schliesst die Türen». «Man fühlt sich ein bisschen im Stich gelassen», konstatiert Korrespondent Wülser.
Der Rechtspopulist Nigel Farage zielt derweil unter die Gürtellinie: «Zur Hölle mit der EU!», liess er über Twitter verlauten. Für den Brexit-Vorkämpfer ist die Grenzschliessung nur ein weiterer Schachzug, um London bei den Verhandlungen mit Brüssel in die Knie zu zwingen.
«Farage übersieht dabei, dass derzeit nicht nur die EU den Verkehr mit Grossbritannien einstellt, sondern mittlerweile über 40 Länder», sagt Wülser. Unter ihnen ist auch die Schweiz. «Die nicht eben dafür bekannt ist, Entscheide aus Brüssel ungefragt nachzuvollziehen.»
Harter Brexit droht weiter
Die Blockade kommt zur Unzeit. London und Brüssel versuchen unter Hochdruck, die letzten Modalitäten des Brexit zu klären. «In zehn Tagen läuft die Übergangsfrist des Brexit ab. Die Möglichkeit, dass diese Scheidung ohne Freihandelsvertrag und damit chaotisch enden könnte, ist intakt», so Wülser.
Derweil schiessen krude Theorien ins Kraut. Demnach soll die Corona-Mutation eine blosse Erfindung des Premierministers sein. Die abenteuerliche These: Johnson versuche, ein Brexit-Chaos mit einem noch grösseren Chaos zu kaschieren.
Der Pandemie werde dereinst noch für viele Dinge die Schuld gegeben, schliesst der Korrespondent. «Aber dass ein britischer Premierminister mithilfe von renommierten Wissenschaftlern eine solche Geschichte inszeniert, erachte ich als abwegig.»