Berlin, Frankfurt, Köln – das sind die Städte, die momentan zu reden geben. Hier leben Menschen dicht aufeinander, wird gefeiert und gelebt. Und hier steigt die Zahl der Neuinfektionen am deutlichsten. Die Situation gerate «ausser Kontrolle», warnte Bayerns Ministerpräsident mit einem Seitenhieb gegen die Hauptstadt.
Vorwurf der «Panikmache»
Gleichzeitig fragen sich immer mehr Menschen, was die ganze Aufregung soll. Ein Fernseh-Beitrag des ARD-Magazins «extra», der sich kritisch mit der Fokussierung auf Neuinfektionen auseinandersetzte und die tiefe Sterblichkeit der letzten Monate ins Zentrum setzte, wurde im Netz gefeiert. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen habe endlich die eigene «Panikmache» erkannt und sich auf den «rechten Weg» begeben. Denn, so die Überzeugung vieler: Corona sei nicht schlimmer als eine Grippe.
Steht Deutschland an der Schwelle zu einer unkontrollierbaren, exponentiellen Ausbreitung der Krankheit, die zwangsläufig schwere Verläufe und Todesfälle nach sich ziehen wird, ähnlich wie es im europäischen Umland bereits zu beobachten ist? Oder dienen staatliche Massnahmen, Warnungen von Medizin und Politik doch eher dem eigenen Machterhalt und dem Ziel, die Bevölkerung «klein» zu halten?
Die Zahl der Zweifler wächst
Eine deutliche Mehrheit der Deutschen steht hinter den Corona-Einschränkungen und -Regeln der Regierung. Aber die Zahl der Zweifler wächst. Und diese beiden Gruppen innerhalb der Bevölkerung stehen sich zunehmend unversöhnlich gegenüber. Die Fakten geraten dabei in den Hintergrund – Sars-Cov-2 wird zur Glaubensfrage.
Wer sich eine Übersicht verschaffen will, etwa beim Robert-Koch-Institut, das die Infektionslage in Deutschland am besten überblickt, hat es nicht leicht. Die Webseite des RKI bietet zwar eine Flut von Informationen, welche davon aussagekräftig und relevant sind, bleibt indes für den Laien unklar. Dabei wäre transparente und plausible Information entscheidend, um ein angemessenes Risikobewusstsein zu entwickeln, und Voraussetzung für Verständnis und Kooperation der Bevölkerung.
«Das wird uns retten», ist Professor Christian Drosten, Chef-Virologe der Berliner Universitätsklinik Charité, überzeugt. Verständnis und Kooperation ergeben sich aber nicht von allein.
Paradoxe Lage
Sars-Cov-2 ist – so der breite, internationale wissenschaftliche Konsens – gefährlicher als eine «normale» Grippe, da schwere Verläufe erstens häufiger sind und die Sterblichkeit zweitens höher liegt. Das Problem: Dieses Phänomen lässt sich in Deutschland kaum beobachten. Ein früher Shutdown und konsequente Massnahmen verhinderten hier eine Übersterblichkeit, das heisst: Es starben trotz Corona kaum mehr Menschen als in einem durchschnittlichen Jahr.
Jetzt steigen die Infektionen wieder deutlich, auch im Verhältnis zu den Testungen, die Intensiv-Fälle nehmen wieder zu, Pflegepersonal ist knapp, und die Langzeitfolgen der Krankheit bleiben unberechenbar. Das sind die Fakten.
Es ist Aufgabe der Politik, diese Fakten so zu vermitteln, dass sie weder Panik auslösen noch Leichtsinn. Nicht die Fakten als solche sollten Gegenstand der Debatte sein, sondern mögliche Konsequenzen daraus und die ethischen und gesellschaftlichen Abwägungen, die nun zu treffen sind. Diese Debatte hält eine gesunde Demokratie locker aus.