Die Sonne brennt auf die Strassen am Ocean Drive. Schon kurz vor Mittag erreicht das Thermometer die 30-Grad-Marke. Hier, wo sich ein Art-déco-Hotel ans andere reiht, flanieren die Menschen leicht bekleidet und gutgelaunt in Richtung Miami Beach.
Zufrieden ist auch Ros Gottuso vom «Colony Hotel». Mit seinem hellblauen Anstrich und dem markanten Schriftzug ist es das meistfotografierte Gebäude in ganz Miami ist. Ihre 48 Zimmer sind seit März restlos ausgebucht und das bei Zimmerpreisen von bis zu 300 Dollar. Im Hotel gilt eine strenge Maskentragpflicht und Gottuso ist überzeugt, dass die Gäste bei ihr sicher sind.
«Wir haben unser Leben wieder»
Neben den Hotels, die teilweise ein Rekord-Quartal hinter sich haben, profitiert auch die Gastronomie. Wer beim Pizzaiolo-Weltmeister Giovanni Gagliardi seine Pizza isst, fühlt sich wie in Neapel. In der Pizzeria herrscht ein Gewusel und der quirlige Chef strahlt Lebensfreude pur aus.
Seine Familie in Neapel könne gar nicht glauben, wie es bei ihm zu und hergehe. Wenn er Nachrichten über die Pandemie sehe, bekomme er schon etwas Angst. «Aber hier ist es anders. Viele sind geimpft. Wir haben unser Leben wieder zurück und dafür danke ich Gott», sagt Gagliardi.
Tatsächlich sind die Zahlen in Florida ermutigend: Auf der Spitze der zweiten Welle im Januar verzeichnete der «Sunshine State» noch bis zu 20'000 Neuinfektionen pro Tag und galt als «Hotspot». Seither ist die Kurve auf aktuell unter 5000 Fälle gesunken. 30 Prozent der Bevölkerung sind zudem vollständig geimpft. Aber es gibt mahnende Stimmen, die vor zu viel Sorglosigkeit warnen.
Vorsicht, wer nicht geimpft ist
Der Kardiologe Bernard Ashby gehört nicht zu den Schwarzmalern. Er will, dass die Menschen wieder arbeiten und Spass haben können. Aber wer noch nicht geimpft sei, müsse vorsichtig sein, sagt Ashby: «Hier im Spital sehe ich mehr und mehr junge Patientinnen und Patienten, die sich noch anstecken, bevor sie geimpft sind».
Den politischen Umgang mit der Pandemie sieht Ashby kritisch: Während die Demokraten seiner Meinung nach zu strenge Massnahmen verordneten, verhielten sich die Republikaner so, als ob es das Virus gar nicht gäbe. Beides sei fatal.
Massnahmen werden ausgesetzt
Tatsächlich sind die unversöhnlichen politischen Lager im Land auch in dieser Frage gespalten. Dem republikanischen Gouverneur Floridas, Ron DeSantis, werden Ambitionen für die US-Präsidentschaft 2024 nachgesagt. Anfang Woche hat er alle Corona-Massnahmen per 1. Juli ausgesetzt.
Dies bringt den demokratischen Stadtpräsidenten von Miami Beach, Dan Gelber, auf die Palme. Er schimpft DeSantis einen «Ideologen, der sich von seinen politischen Ambitionen, statt von der Wissenschaft leiten lässt». Dabei wäre gerade jetzt, bei so viele Touristinnen und Touristen in der Stadt, das Maskentragen so wichtig.
Neue Freiheit in Miami
Tatsächlich sind viele Flüge nach Miami im Moment ausgebucht. Aus Chicago sind etwa die Freundinnen Miranda Slupski und Justina Juarez für ein Wochenende angereist. Drei Stunden Flug für drei Tage Spass.
Die beiden posieren für Selfies am kilometerlangen Sandstrand, der der Stadt Miami Beach seinen Namen gegeben hat. Während Miranda geimpft ist, ist es Justina nicht ganz wohl: Sie will auf keinen Fall jemanden anstecken und beteuert, in der Regel eine Maske zu tragen.
Die beiden stehen damit für die aktuelle Gemütslage in Miami Beach: Man bewegt sich irgendwo zwischen unbeschwerter Ausgelassenheit und der Hoffnung, dass auf die grosse Party nicht doch noch plötzlich ein Kater folgt.