Auf Tybee Island herrscht im Mai normalerweise bereits emsiges Geschäftstreiben. Der drei Meilen lange Küstenstreifen in der Nähe der Stadt Savannah kann mit breiten weissen Stränden und einem beachtlichen Surf-Break auftrumpfen.
Die Corona-Pandemie hat den Saisonstart verhindert. Doch nun, da der Gouverneur von Georgia per 1. Mai den «Lockdown» aufgehoben hat, macht sich Tybee Island auf einen Ansturm sonnenhungriger Touristen bereit.
Restaurantbesitzer John bringt sein strandnahes Etablissement «Spanky’s» auf Vordermann, gemäss den Anweisungen der Behörden. «Bloss 10 Gäste pro 50 Quadratmeter sind in Georgia derzeit erlaubt. Welche weiteren Sicherheitsmassnahmen wir umsetzen, werden wir noch sehen.»
Die Angestellten wirken nervös und auch John will nicht weitersprechen. «Ich kann gar nicht beschrieben, wie schlimm es ums Geschäft steht», sagt er und lacht unbequem.
Ein Tourist irrt auf der Promenade herum, mit einem Badetuch unter dem Arm. «Die Stimmung auf Tybee Island ist verwirrend.» Der Strand sei für offen erklärt worden, aber die Zugänge blieben verbarrikadiert. Viele Restaurants seien geschlossen. «Dabei ist es wichtig, wieder ins Geschäft zu kommen. Es geht nicht anders.»
Ein Pärchen klettert gerade über die Strand-Barrikaden – sie sind mit ihren Kindern aus dem nördlichen Cleveland, Ohio, angereist, um Familie zu besuchen, aber mit schlechtem Gewissen.
«Ich bin froh, an der Sonne zu sein, zu Hause herrscht immer noch der Lockdown. Aber mein Mann hat auf dem Weg nach Georgia ständig Zweifel geäussert, ob wir das Richtige tun.»
Die Gemeindepräsidentin Shirley Sessions spricht von einer akuten Bedrohung. Auf Tybee Island lebe eine Hochrisiko-Bevölkerung. Es gebe zwei Altersheime und keinen Spital.
Bis jetzt habe man mit zwei Infektionen die Lage im Griff behalten können, sagt Sessions. Doch nun befürchtet sie, dass Touristen das Virus mitbringen. «Sie verhalten sich unkontrolliert und vergessen, dass es hier eine Bevölkerung gibt.»
Die Gemeindepräsidentin ist mit dem Gouverneur von Georgia, Brian Kemp, in Konflikt geraten, als er Tybee Island Anfang April per Dekret zwang, die Strände zu öffnen. Und jetzt kritisiert sie seine Öffnungsmassnahmen.
Es wäre klug gewesen ein paar Wochen zu warten, und den Entscheid auf Infektionszahlen in Georgia zu fussen, sagt die Gemeindepräsidentin Shirley Sessions.
Gouverneur Kemp unterlief bei seinem forschen Vorgehen sogar die Anweisungen der US-Regierung. Diese empfiehlt erst nach zwei Wochen sinkenden Infektionen, erste Öffnungsschritte zu unternehmen. Im Staat Georgia gibt inzwischen es fast 30'000 bestätigte COVID-19-Infektionen und über 1000 Tote.
Der Gouverneur fokussiere auf die Lage in Georgia. Und das sei eben nicht New York. Jeder Staat, jeder Bezirk sei unterschiedlich. So müsse man das sehen.
Er freut sich, dass auf Tybee Island wieder das Strandleben einkehrt. Aber gleichzeitig hat er Angst vor dem Virus. «Die Leute kommen von überall her, das macht mir Sorgen.»