Überall gefährdet das Coronavirus jene besonders stark, die nicht völlig gesund sind. In Kanada trifft das auf die indigene Bevölkerung zu, wo Diabetes, Übergewicht und Tuberkulose vermehrt vorkommen. Zudem ist der Anteil an Rauchern unter den insgesamt 1.6 Millionen Indigenen sehr hoch.
Kombiniert mit einem schwach ausgebauten Gesundheitswesen in den insgesamt 600 First-Nations-Gemeinden ergibt sich ein sehr gefährlicher Boden für die Ausbreitung einer Epidemie, berichtet der in Ottawa arbeitende Journalist Gerd Braune.
Nunavut: Ein Spital für ein Riesenterritorium
Die abgelegene Lage der indianischen Gemeinden stellt ein weiteres Risiko dar. Ein Sechstel dieser Gemeinden sind nur per Flugzeug erreichbar. Noch drastischer ist es in den Inuit-Gebieten der Arktis: Auf dem Territorium von Nunavut mit einer Fläche von zwei Millionen Quadratkilometern gibt es nur ein einziges Spital – in der Hauptstadt Iqaluit. Erkrankte müssen in den Süden geflogen werden.
Dazu kommen in den Ureinwohnergebieten eine schlechtere Wohnqualität, ein eklatanter Wohnraummangel und oft schlechten Hygieneverhältnisse. Die geforderte Selbstisolierung ist oft gar nicht umsetzbar.
Kontrollen vor und zwischen Gemeinden
Kanadas Regierung hat mit den Mitte März lancierten Hilfsprogrammen auch spezielle Fonds für die Ureinwohnergemeinden geschaffen. Mittlerweile sind es 600 Millionen Dollar. Ein kleiner Teil fliesst auch an die Städte, wo ebenfalls viele First-Nations-Angehörige und Inuit leben. In den Gemeinden erhalten zudem Pflegepersonal Schutzmasken und Schutzanzüge.
Die Indigenen haben laut Braune sehr früh vor und zwischen ihren Gemeinden Kontrollstellen eingerichtet. Wer keinen plausiblen Besuchsgrund hat, wird zurückgewiesen. Versorgungsfahrten sind möglich. In den Geschäften gibt es Zutrittsregeln und es muss Abstand gehalten werden.
Rückreise aus dem Süden nur mit Quarantäne-Stopp
Das Territorium Nunavut hat angeordnet, dass im Süden lebende Inuit, die in ihre Gemeinden zurückkehren wollen, erst einmal in Ottawa, Winnipeg oder Edmonton für zwei Wochen in Quarantäne müssen. Erst dann können sie ein Flugzeug in den Norden besteigen.
Trotz der strengen Massnahmen haben die First-Nations-Einwohner bereits über 130 Corona-Infektionen gemeldet. Es wird versucht, die Ansteckungskette zu eruieren. In den nächsten Tagen soll Genaueres darüber veröffentlicht werden.
Tiefe Angst vor eingeschleppten Krankheiten
Im 19. Jahrhundert schleppten die Europäer die Pocken auf einer vor der Provinz British Columbia gelegene Insel ein und löschten die ansässige Bevölkerung nahezu aus. Neben Pocken ist auch an die Masern und an die Spanische Grippe zu denken. Diese hatte 1918 verheerende Folgen für einige Inuit-Gemeinden an der Küste von Labrador.
Die Angst vor eingeschleppten Krankheiten sitzt bei den Inuit und First Nations in der DNA.
Keine Entwarnung in Sicht
Man war überrascht, dass es so lange gelungen ist, das Virus von den Gemeinden fernzuhalten und die ersten Fälle erst nach vier bis fünf Wochen auftauchten. Die Massnahmen der indigenen Völker und der Bundesregierung wirken also anscheinend, aber zum Aufatmen ist es noch zu früh.
Das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass die kommenden zwei Wochen entscheiden, wie es in den indigenen Gemeinden weitergeht und ob es gelungen ist, einen Kollaps des Gesundheitswesens zu vermeiden.