Der Lockdown ist ein riesiges gesellschaftspolitisches Experiment für ein Land, das zu den Ländern mit der ungleichsten Wohlstandsverteilung der Welt gehört. Die südafrikanische Regierung, die schon vor dem Coronavirus mit Korruption und Inkompetenz eine prekäre wirtschaftliche Situation geschaffen hat, muss nun beweisen, dass sie in der Tat über sich hinauswachsen kann und dass die mehrheitlich armen Menschen am Schluss nicht noch ärmer sind.
Johannesburg ist mit knapp sechs Millionen Einwohnern die grösste Metropole des Landes. Sie gilt als das Corona-Epizentrum von Südafrika. Hier werden die meisten Ansteckungen verzeichnet, denn hier, im Wirtschaftszentrum des Landes, kamen die meisten jener an, die sich in Europa, China oder Amerika angesteckt haben.
Dazu kommt, dass allein in Johannesburg eine halbe Million Menschen mit HIV/Aids leben, Südafrika hat in Afrika die meisten HIV/Aids-Infektionen und auch eine grosse Gruppe an Tuberkulose-Patienten. Das heisst, hier sind die Schwachen nicht auf die ältere Bevölkerungsgruppe begrenzt, sondern verteilen sich über sämtliche Altersgruppen.
In einer Villa mit riesigem Garten, wie es um Johannesburg herum viele gibt, lässt es sich gut 21 Tage leben. Die Luft ist frisch, die Hunde haben Auslauf, die soziale Distanz ist kein Problem. Die Regierung appellierte an genau diese Reiche, dass auch sie nun in ihren überproportionierten Häusern bleiben und eben nicht in ihr Ferienhaus an der Küste fahren.
Denn genau so reiste das Virus bereits von Kapstadt in den 3000 Kilometer entfernten Norden, wo einige Begüterte sich eine gute Zeit auf einer Edelranch machen wollten und prompt die ersten Menschen unter der lokalen Bevölkerung ansteckten. Während die Angesteckten es sich auch in der Quarantäne gut gehen lassen können, gibt es für die einheimische Bevölkerung kaum funktionierende Spitäler.
So sieht es nun jeden Tag nach 10 Uhr aus: leer. Die Hamsterkäufe können sich auch nur die Reichen leisten, erst recht in diesem Laden. Alle anderen, angefangen mit der unteren Mittelklasse, kaufen genau einmal pro Monat ein. Am Zahltag. Dann wird, nach dem Abzahlen der Raten für Fernseher, Couchgarnitur und anderem, ein genau kalkulierter Betrag für das Essen ausgegeben. Und das muss für einen Monat reichen.
Das neuartige Coronavirus ist innerhalb weniger Tage für alle sichtbar geworden, noch bevor es 100 Ansteckungen gegeben hat. Die Regierung hat schnell gehandelt. In den Shoppingcentern, wo die meisten einkaufen gehen, standen im Nu Waschbecken und entsprechende Anleitungen.
Diese beiden Frauen reinigen seit Jahren die Häuser der Reichen. Sie gehörten zu den Ersten, die in Gefahr waren, sich von Covid-19 anzustecken, nämlich von jenen, die im Ausland waren. Unter rassistischen Menschen zirkulierte auf Twitter trotz dieser Tatsache die Behauptung, die Hausangestellten seien jene, die ihre Hausherrinnen anstecken wollten.
Eine Behauptung, die zeigt, wie gross das Misstrauen und wie gespalten Südafrikas Bevölkerung immer noch ist. Diese beiden Frauen wissen bereits, dass sie im Lockdown nicht mehr arbeiten dürfen. Nun hängen sie vom Gerechtigkeitsempfinden ihrer Hausherrinnen ab. Werden letztere weiter bezahlen oder nicht?
Ein typischer Minibus für jene, die sich kein Auto leisten können, um damit die meist grossen Distanzen zum Arbeitsplatz zu bewältigen. Diese Busse transportieren monatlich 3.6 Millionen Menschen, beinahe Zweidrittel von Südafrikas Bevölkerung sitzt in einem solchen Bus, in der Regel dicht aneinander gedrängt.
Das Taxibusiness ist hart umkämpft, es kommt immer wieder zu Kriegen unter Taxibesitzern. Hier gilt: no work pay. Sie alle dürfen unter dem Lockdown nur jene zur Arbeit fahren, denen es noch erlaubt ist zu arbeiten und die kein Homeoffice machen können. Ihre Verluste werden riesig sein, es ist noch unklar, wie sie sich im Lockdown langfristig verhalten werden.
Drei Frauen von insgesamt sechs, die in einem kleinen Township-Haus wohnen. Drei Generationen auf engstem Platz. Für sie ist social distancing ein Privileg der Reichen und ihr Unmut auf die Reichen ist zu spüren. «Ich habe noch nie einen Flughafen von innen gesehen», sagt die betagte Grossmutter, die nur mit Mühe laufen kann und darum nicht auf dem Foto ist. «Doch einer, der mit dem Virus kam, ging in der Schweiz Skifahren und dafür müssen wir nun büssen. Einmal mehr kommen wir zuletzt.»
In ganz Südafrika gibt es am Rande der Städte sogenannte illegale Siedlungen, nicht zu verwechseln mit Townships. Es sollen über 2700 solcher Slums existieren, mehrere Millionen leben aufeinander, Dutzende teilen sich einen Wasserhahn oder eine Toilette. Dass es einen Virus namens Corona gibt, hat sich hier herumgesprochen, viele haben Angst und fragen nach einem Medikament. Wie das Virus wirkt, weiss hier niemand. Viele glauben, dass es nur die Reichen befällt.
Secondhand-Kleider verkaufen, kleine Mengen an Gemüse – egal was, das alles fällt unter den informellen Sektor, der in Südafrikas Wirtschaft eine wichtige Rolle spielt. Schätzungsweise drei Millionen Menschen arbeiten in diesem Sektor. Die Gärtner aus Zimbabwe oder Malawi, die Automechaniker, die um die Ecke einen Blechschaden für wenig Geld reparieren – viele von ihnen dürfen im Lockdown nicht mehr arbeiten.
Und wie genau die Regierung für sie sorgt, ist unklar. Es heisst, für kleine und mittlere Unternehmen und solche, die Arbeit wegen des Virus verlieren, sei ein Entschädigungsfonds geschaffen worden. Für den informellen Sektor werde noch an einer Lösung gearbeitet und die Korruption, die bei grossen zu verteilenden Summen schnell grassierte, werde aufs härteste bekämpft.
Der wirtschaftliche Stresstest für Südafrika ist wie eine eigene Welle. Sie ist erst am Anrollen. Man kann nur hoffen, dass sie nicht grösser sein wird als die virale Welle und das Land unter sich begraben wird.