Vor dem grössten Spital Ostafrikas stehen gerade mal 30 Personen in der Schlange. Nur wenige lassen sich im Zelt vor dem Kenyatta National Hospital in Nairobi gegen Covid impfen. «Wir verlieren unsere Brüder und Schwestern», sagt Wilson Njoroge. Der ältere Mann steht in der Schlange: «Wir müssen sie aufklären, sonst werden sie leiden.»
Ohne Impfung keine Identitätskarte
Kenias Gesundheitsminister will die Impfrate erhöhen – und setzt dafür auf Zwang. «Wer Dienste des Staates in Anspruch nimmt, muss ab 21. Dezember geimpft sein», erklärte Mutahi Kagwe. Das bedeutet, dass man ohne Impfung etwa keine Identitätskarte oder keinen Fahrausweis mehr erhalten kann.
Doch auch für die Benutzung von Zug, Bus und Flugzeug ist die Impfung künftig obligatorisch. Und ohne Zertifikat darf man auch nicht mehr Bars und Restaurants besuchen. Kenia setzt auf 1G, von Covid Genesene müssen sich ebenfalls impfen lassen.
Die Impfrate in Kenia liegt bei tiefen sechs Prozent. Lange war kaum Impfstoff erhältlich. Das hat sich geändert, und doch geht es mit Impfen nicht vorwärts. «Die Ungeimpften sind ein Problem», sagt Wilson Njoroge. Der 70-Jährige enerviert sich: «Wir müssen sie aufklären.» Njoroge lag mit Covid im Spital und konnte sich kaum mehr bewegen. Darum ist er von der Impfung überzeugt.
Harte Massnahmen werden akzeptiert
Doch Njoroges Sohn etwa will sich nicht impfen lassen. «Er und seine Freunde weigern sich, ich weiss auch nicht wieso.» Njoroge findet es gut, dass die Regierung nun Druck auf Ungeimpfte ausübt. Auch viele Mediziner begrüssen den Impfzwang. In Kenia ist es üblich, dass sich die Regierung mit harten Massnahmen durchsetzt.
Der Grund für Kenias Impfpflicht liegt auf der Hand: Dank Spenden lagert der ostafrikanische Staat 15 Millionen Impfdosen. Pro Tag werden rund 100'000 Dosen verimpft. Bleibt das Tempo so tief, dann sind diese erst in einem halben Jahr aufgebraucht – oder sie verfallen.
Doch Kenias Impfzwang scheint wenig durchdacht. Die Regierung will gewisse Dienstleistungen nur noch Geimpften anbieten. Doch sie könnte bis am 21. Dezember gar nicht allen Bürgerinnen und Bürgern die Impfung ermöglichen. Darum haben kenianische Anwälte nun vor Gericht einen Aufschub der Massnahmen erreicht - bis zu einem Urteil am 4. Januar.
Kritik von Menschenrechtlern
Trotz Aufschub: Menschenrechtsorganisationen kritisieren Kenias Impf-Regime. «Die Regierung muss ihre Bevölkerung vor Gesundheitsrisiken schützen. Doch die Massnahmen sollten verhältnismässig sein», sagt Adi Radhakrishnan von Human Rights Watch.
In vielen afrikanischen Ländern geht es mit Impfen nur langsam vorwärts. Ein Grund dafür ist eine gewisse Impfskepsis. Doch vor allem fehlt es vielen Menschen an Geld und Zeit, um in ein Impfzentrum zu gehen.
Dies könnte Kenias Regierung mit mobilen Impfzentren kompensieren. Doch um die Impfung aktiv unter die Leute zu bringen, dafür fehlt dem ostafrikanischen Land der Wille oder die Infrastruktur.
Ist Druck also die einzig taugliche Massnahme? Ja, glaubt Mercy Maina vor dem Impfzelt: «Kenianer brauchen gelegentlich einen Schubs», lacht die Ärztin. Auch sie sei sehr spät dran für ihre zweite Dosis. «Vom rechtlichen Standpunkt ist die Impfpflicht zwar heikel. Aber wenn man die Leute zu ihrem Glück zwingt – dann ist das nicht falsch.»
In den letzten Tagen sind die Covid-Fallzahlen in Kenia erstmals seit Monaten wieder zügig gestiegen. Die Omikron-Variante scheint im Land angekommen zu sein. Mehr Covid-Fälle würden auch wieder zu mehr Impfwilligen führen.