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Mütter mit Kindern und einige Jugendliche stehen und sitzen neben einem Zugswaggon.
Legende: Flüchtlinge in den umkämpften Gebieten: «Sollen sie auf den Feldern campieren?», fragt Wehrschütz. Reuters

International «Das ist eine Zeitbombe, die da tickt»

Die Menschen in den umkämpften Gebieten in der Ostukraine bräuchten dringend Hilfe. Doch diese kommt nur schleppend voran. Es fehle an Wasser und Medikamenten, sagt Christian Wehrschütz. Er berichtet für den ORF aus der Region.

SRF: Wie ist die Versorgungslage in Donezk? Was braucht die Bevölkerung am dringendsten?

Christian Wehrschütz

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Porträt von Christan Wehrschütz
Legende: Reuters

Christian Wehrschütz arbeitet seit 1999 als Korrespondent für den ORF. Davor schrieb er für die NZZ und war als Radiojournalist tätig. Der Österreicher spricht acht Sprachen, darunter Russisch, Ukrainisch, Serbisch, Slowenisch, Mazedonisch und Albanisch. Für seine journalistischen Leistungen wurde er mehrfach ausgezeichnet.

Christian Wehrschütz: Wasser ist wirklich ein ernstes Problem. Es ist sehr trocken in der Stadt. Das zweite Problem ist, dass viele Apotheken geschlossen sind. Es soll beispielsweise kein Insulin mehr geben. Viele Ärzte sollen geflohen sein. Und dann gibt es natürlich die grosse Gruppe behinderter Menschen, Leuten in Spitälern und Altersheimen, die nicht weg können.

Wie sieht es in der Stadt Luganzk aus?

In Luganzk ist die Situation zum Teil noch viel schlimmer. Die Wasserversorgung ist dort völlig zusammengebrochen. Es gibt in der Stadt auch keine Mobilfunkverbindungen mehr. Die Kommunalverwaltung ist weitgehend zusammengebrochen. Das betrifft die Abfallentsorgung und ähnliches. Leute, die ausgebombt worden sind, haben wirklich enorme Probleme, weil sich kaum jemand um sie kümmert. Die Hälfte der Bewohner hat die Stadt wohl schon verlassen.

Die Regierung in Kiew hat die Menschen in Luganzk und Donezk aufgefordert, die Städte zu verlassen...

Ich halte diesen Aufruf im Grunde genommen für eine doppelte Kulturschande. Und zwar für die, die dazu aufgerufen haben, und auch für Europa, das das hinnimmt und nicht darauf reagiert. In Donezk haben wir sicherlich noch 400'000 bis 500'000 Einwohner. Ja bitte, wo sollen die denn hin? Was heisst, ‹verlasst die Stadt›? Sollen sich die ins Auto setzen, einfach hinausfahren und auf einem Feld campieren? Was soll das für eine Vorstellung sein?

Zwei Millionen Dollar stellt das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zur Verfügung. Ist das Ihrer Ansicht nach genug?

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Nein. Zum Vergleich: Die Beobachtermission der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kostet 19 Millionen Euro. Das grosse Problem dabei wird aber sein, wenn die Gefechte im Herbst und im Winter andauern und die Flüchtlinge bleiben. Erstens haben sie keine Arbeit, zweitens sind viele Heime und Schulen nicht winterfest. Wie gehe ich mit diesen Menschen um? Das ist eine Zeitbombe, die da tickt.

Was kann der russische Konvoi mit Hilfsgütern den Leuten in den umkämpften Gebieten bringen?

Eine Atempause. Denn wenn diese Kämpfe andauern, dann werden diese 2000 Tonnen rasch aufgebraucht sein. Aber es ist wichtig, dass überhaupt Hilfe kommt. Es ist traurig, dass diese Hilfe bisher nur aus Russland kommt. Ich frage mich, wieso zum Beispiel noch niemand in Westeuropa derartige Hilfskonvois zusammengestellt hat.

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