- Prorussische Separatisten kontrollieren Debalzewe weitgehend.
- Die Regierung in Kiew bestätigt den Rückzug von mittlerweile 80 Prozent der Truppen aus der strategisch wichtigen Stadt.
- In der EU wird über neue Sanktionen gegen Russland diskutiert.
- Poroschenko, Putin, Merkel und Hollande wollen heute Abend in einer Telefonkonferenz über die Folgen der neusten Entwicklungen beraten.
Poroschenko auf dem Weg an die Front
Grosse Teile der ukrainischen Truppen hätten die Stadt Debalzewe «organisiert» verlassen, sagte heute Staatspräsident Petro Poroschenko. Mittlerweile hat er sich selbst auf den Weg in die umkämpften Gebiete im Osten des Landes gemacht.
Auf ihrem Rückzug aus Debalzewe trafen viele Regierungssoldaten und regierungstreue Milizionäre im Verlaufe des Tages in der Stadt Artemiwsk ein. «Einige liefen allein, andere kamen in Gruppen, wieder andere waren in Autos unterwegs», berichtet ein Reuters-Fotograf. Die Kämpfer sähen sehr erschöpft aus.
«Der Rückzug ist eine grosse Schmach für die Ukrainer», weiss SRF-Korrespondent Peter Gysling. Sie seien nun in dem Konflikt einmal mehr in allen Belangen am kürzeren Hebel. Zudem sei die Niederlage nicht nur von symbolischer Bedeutung. Vielmehr «ist mit der Niederlage auch ein Viertel der Kampfkraft der Ukraine verlorengegangen».
Neue Sanktionen wegen Verstosses gegen Minsker Abkommen?
Welche Auswirkungen der Fall von Debalzewe für das Minsker Abkommen hat, ist noch unklar. Während Russland darin keinen Verstoss gegen das Minsker Abkommen sieht, beharrt der Westen darauf, dass Debalzewe Teil der Vereinbarung sei.
So drohte die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini mit weiteren Sanktionen, sollten die Kämpfe und andere Verstösse gegen das Minsker Abkommen andauern. Gleiches sagte heute auch der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert.
Der britische Aussenminister Philip Hammond brachte bereits eine weitere Verlängerung der Sanktionen gegen Russland und die Separatisten in der Ukraine ins Gespräch. Sollte der Waffenstillstand nicht eingehalten werden, wäre die Ausweitung der Strafmaßnahmen bis zum Jahresende ein starkes Signal an die russische Führung, sagt Hammond bei einem Besuch in Lissabon.
Ich dränge Russland, all seine Truppen aus dem Osten der Ukraine abzuziehen, seine Unterstützung für die Separatisten einzustellen und die Minsker Vereinbarung einzuhalten.
Bereits am Dienstag hatte Kanada Handelsbeschränkungen gegen 17 russische und ukrainische Firmen und Einrichtungen sowie gegen 37 Personen beschlossen. Darauf reagierte heute das russische Aussenministerium mit dem Vorwurf, Kanada wolle damit die Umsetzung des Minsker Abkommens verhindern.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg dagegen warf den prorussischen Separatisten vor, mit ihrer Weigerung zur Einhaltung der Waffenruhe die Vereinbarung zu gefährden.
Separatisten wollen nun Waffen abziehen
Die Aufständischen selbst sehen mit der Einnahme von Debalzewe ein wichtiges Ziel erreicht. Nach der Einnahme des Verkehrsknotenpunkts könne nun der Abzug schwerer Waffen beginnen, sagt Separatistensprecher Eduard Bassurin.
Gemäss dem Minsker Abkommen von vergangener Woche sollte dieser eigentlich längst im Gange sein. Doch die Aufständischen wollten Debalzewe unbedingt erobern. «Der Donbass soll blühen, dazu brauchen wir diese Stadt», sagte Separatistenführer Alexander Sachartschenko.
Was bedeutet der Fall von Debalzewe für die Regierung in Minsk?
Die schwere militärische Niederlage bringt Präsident Poroschenko innenpolitisch weiter unter Druck.
Bereits in der Vergangenheit war ihm in Kiew vorgeworfen worden, er agiere zu halbherzig. Seine Gegner beschuldigen ihn sogar des «Landesverrats», weil er die Krise im Donbass politisch lösen will.
Laut SRF-Korrespondent Gysling gilt Poroschenko als Mann des Ausgleichs. «Nach dem Fall von Debalzewe dürften Pragmatiker wie er aber vermutlich an den Rand gedrängt werden und nationalistischere Kräfte und Radikale Auftrieb erhalten.»
Hilfsgelder für die notleidende Bevölkerung
Für die Bevölkerung in der Ostukraine ist die Lage nach wie vor dramatisch. Viele Menschen vor Ort hätten nicht genügend Nahrungsmittel und könnten ihre Häuser nicht heizen, sagte der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier heute bei einem Treffen mit Vertretern von Hilfsorganisationen in Berlin. Dabei kündigte er Hilfsgelder in der Höhe von zehn Millionen Euro für die humanitäre Hilfe an.
Auch aus der Schweiz könnten demnächst Gelder in die Ukraine fliessen. Der Bundesrat hat die Nationalbank mit der Aushandlung eines Kredits von 200 Mio Dollar beauftragt. Dieser sei Teil eines international breit koordinierten Hilfspakets zur finanziellen Stabilisierung des Landes, teilt das Eidgenössische Finanzdepartement heute mit. Er sei insbesondere an die Umsetzung eines IWF-Programms gebunden und dürfe nicht zur Finanzierung des Militärbudgets verwendet werden.
Der Beitrag an die finanzielle Stabilisierung der Ukraine stehe in der langjährigen Tradition der Währungshilfe der Schweiz, heisst es. Als offene Volkswirtschaft mit einem international stark integrierten Finanzplatz habe die Schweiz ein Interesse an einer raschen Stabilisierung der Ukraine.