Seit Samstag um Mitternacht schöpfen die Menschen im Osten der Ukraine neue Hoffnung auf Frieden. Seit diesem Zeitpunkt sollten die Waffen im Bruderkrieg der Ukraine schweigen. An vielen Orten ist es ruhiger geworden. Aber an den strategisch ausschlaggebenden Orten ist nicht viel von Frieden zu spüren.
Soldaten fast vollständig umzingelt
Nach Angaben der ukrainischen Regierung wurde die Waffenruhe durch die Separatisten 112 Mal verletzt. Mindestens fünf ukrainische Soldaten wurden demnach getötet. Bei den Kämpfen in der Nähe der Hafenstadt Mariupol seien zudem mehr als 20 weitere Soldaten verletzt worden.
Seit dem Inkrafttreten der Waffenruhe hielten insbesondere die Kämpfe um die strategisch wichtige Stadt Debalzewe an.
Die Stadt steht seit längerem im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Der strategisch wichtige Ort liegt zwischen den beiden grossen Separatistengebieten von Donezk und Luhansk.
Nach Angaben von Rebellen sind dort ukrainische Soldaten eingekesselt, die Ukraine bestreitet das. «Die Zahl der Angriffe auf Debalzewe hat sogar zugenommen im Vergleich zu den vergangenen Tagen», sagte der Militärsprecher. Dabei würden alle Arten von Waffen eingesetzt. «Die Terroristen haben den Befehl bekommen, Debalzewe um jeden Preis zu erobern.»
Die prorussischen Separatisten werfen der Armee ihrerseits Verstösse gegen die Waffenruhe vor. Die Regierungstruppen hätten innerhalb von 24 Stunden mindestens 27 Mal das Feuer eröffnet, sagte Separatistenführer Eduard Bassurin der Agentur Interfax zufolge.
Ich appelliere an die Konfliktparteien, dass alles getan wird, diesen Waffenstillstand einzuhalten.
Die Reaktionen seitens der Vermittler der Waffenruhe liessen nicht lange auf sich warten. Ihre Unterschiedlichkeit überrascht indes nur wenig. So schätzt Kremlberater Juri Uschakow die Situation positiv ein. Verglichen mit der Lage vor wenigen Tagen gebe es Veränderungen, sagte er.
Uschakow schloss ein weiteres Telefonat Putins mit Kanzlerin Angela Merkel und den Präsidenten der Ukraine und Frankreichs, Petro Poroschenko und François Hollande, nicht aus. Die vier hatten bereits am Sonntagabend über die Waffenruhe gesprochen.
Weniger euphorisch sieht das Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hat an die Konfliktparteien in der Ostukraine appelliert, den vereinbarten Waffenstillstand einzuhalten. «Die Lage ist fragil», sagte Merkel in Berlin.
Das sei mit Blick auf den zwischen prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee umkämpften Eisenbahnknotenpunkt Debalzewe nicht anders zu erwarten gewesen. «Dennoch appelliere ich ... , dass alles getan wird, diesen Waffenstillstand einzuhalten», sagte Merkel.
Wie wirkungsvoll dieser Apell ausfallen dürfte, lässt sich angesichts der jüngsten Entscheide der Konfliktparteien leicht erahnen.
Erste Vereinbarungen bereits ausgesetzt
So hat die ukrainische Armee den in den Verhandlungen von Minsk vereinbarten Abzug schwerer Waffen vorerst ausgeschlossen. Der geplante Beginn des Waffenabzugs von der Frontlinie stehe momentan nicht zur Debatte, erklärte Armeesprecher Wladislaw Selesnjow in Kiew.
Wichtiges zum Thema
Selesnjow begründete dies mit versuchten Panzerangriffen und anhaltendem Beschuss durch die prorussischen Rebellen. Auf den Fuss folgte die Aussetzung der Vereinbarung seitens der Separatisten.
Die Rebellen machen den vereinbarten Abzug der schweren Waffen aus der umkämpften Ostukraine dezidiert davon abhängig, dass das ukrainische Militär dies ebenfalls tut.
Nicht überall wird gekämpft
Die ukrainische Regierung und die Rebellen hatten sich am vergangenen Donnerstag nach einem Verhandlungsmarathon unter Beteiligung Deutschlands, Frankreichs und Russlands auf ein «Massnahmenpaket» zur Umsetzung der Minsker Verträge von Anfang September verständigt.
An anderen Fronten wurde dieser Waffenstillstand offenbar weitgehend eingehalten. So blieb die Lage rund um Donezk von weiteren Kämpfen verschont. Nur vereinzelt noch kam es dort noch zu kleineren Gefechten.