In Hongkong sind die Demonstrationen für mehr Demokratie und eine Wahlreform trotz Gesprächsangeboten und massiven Polizeieinsätzen in der Nacht weitergegangen. Im Laufe des Montagmorgens wuchs die Zahl der Demonstranten im Finanzdistrikt und anderen Stadtteilen wieder an. Zehntausende Demonstranten versperren wichtige Hauptverkehrsadern in den sonst betriebsamen Bezirken Admiralty, Wan Chai, Causeway Bay auf der Insel Hongkong und in Mong Kok auf der Halbinsel Kowloon.
«Aus Occupy Central ist Occupy Hongkong geworden», sagten Aktivisten unter Hinweis auf den Aufruf der pro-demokratischen «Occupy-Central»-Bewegung zur Besetzung des Finanzdistrikts. Der langjährige Oppositionspolitiker Martin Lee sagte in einem CNN-Interview: «Die ganze Welt kann sehen, dass Hongkong Demokratie will.» Die Bewegung werde friedlich vorgehen. «Sie wollen dafür kämpfen – und sie sind bereit, dafür zu sterben.» Die Organisatoren schätzten die Zahl der Teilnehmer auf 80‘000 bis 100'000. Unabhängige Angaben gibt es keine.
«Regenschirm-Revolution»
In der Nacht und am frühen Morgen war die Polizei teilweise gewaltsam mit Tränengas, Schlagstöcken und Pfefferspray gegen die Demonstranten vorgegangen, ohne die Massen auflösen zu können. 38 Menschen wurden nach Polizeiangaben verletzt.
Erst am Mittag kehrte in Hongkongs Strassen gespannte Ruhe ein. Tausende Demonstranten harrten im Zentrum aus, schliefen teils neben den Strassen oder schützten sich mit Schirmen gegen die Sonne. Die Schirme hatten ihnen zuvor auch als Schutzschild gegen den Pfefferspray der Polizei gedient. Menschen auf der Strasse und in Sozialen Medien sprechen bereits von der «Regenschirm-Revolution». Dort, wo sich die Proteste beruhigten, zog sich die Bereitschaftspolizei zurück.
Einige Geschäfte und Restaurants hatten geschlossen, aber ansonsten lief das Geschäftsleben ohne grosse Beeinträchtigungen. Die Hongkonger Börse öffnete normal, sackte aber stark nach unten, da die Unruhen das Vertrauen der Investoren beeinträchtigten. Die Zentralbank Hongkongs berichtete von Störungen bei Bankgeschäften. 44 Filialen oder Geldautomaten seien wegen der Unruhen vorübergehend geschlossen worden. Das Kreditgeschäft zwischen den Banken sei aber nicht betroffen.
Regierung ruft zu Ruhe und Ordnung auf
In einer TV-Ansprache rief der Regierungschef der autonomen Sonderverwaltungsregion Hongkong, Leung Chun-ying, die Einwohner zu Ruhe und Ordnung auf. Er dementierte Gerüchte, dass seine Regierung die chinesische Volksbefreiungsarmee um Hilfe gebeten habe. Leung forderte die Demonstranten vergeblich auf, nach Hause zu gehen. «Wir wollen kein Chaos in Hongkong.»
Offenbar um die Lage zu beruhigen, kündigte die Polizei an, ihre speziell gegen Unruhen ausgerüsteten Einsatzkräfte zurückzuziehen. Als Grund wurde angegeben, dass sich die Demonstranten weitgehend ruhig verhielten. Augenzeugen berichteten aber, dass weiter mit Helmen und Schilden ausgerüstete Spezialkräfte zu sehen seien.
Peking spricht von «illegalen Protesten»
China warnte ausländische Regierungen vor einer Einmischung. Die Volksrepublik stelle sich gegen jeden Versuch von aussen, «illegale Bewegungen» wie Occupy Central zu unterstützen, sagte eine Sprecherin des Aussenministeriums in Peking.
Die Proteste entzündeten sich an einer Wahlreform, mit der die kommunistische Führung in Peking für 2017 zwar direkte Wahlen, aber keine freie Nominierung der Kandidaten zulassen will. Damit ist eine Kandidatur von Regierungskritikern faktisch unmöglich. Die ehemalige britische Kronkolonie, die 1997 an China zurückgegeben wurde, wird heute nach dem Grundsatz «ein Land, zwei Systeme» als eigenes chinesisches Territorium autonom regiert. Den Demonstranten gehen die ihnen zugestandenen Demokratierechte aber nicht weit genug. Die aktuellen Demonstrationen sind die schwersten in Hongkong, seit die ehemalige britische Kronkolonie 1997 wieder Teil Chinas wurde.