Für einen einzigen US-Dollar müssen Irakerinnen und Iraker tief in ihre Tasche greifen. Bis zu 3000 irakische Dinar müssen sie dafür hinblättern. Der Wechselkurs ist nur ein Indiz für die marode irakische Wirtschaft. Aber dazu möchte der junge Mann in der Wechselstube an der Einkaufsstrasse im Stadtteil Karada von Bagdad nichts sagen.
Er holt stattdessen draussen seinen Bruder. Aber auch er will nicht reden. Weder über die Wirtschaftslage noch über die gefährliche Eskalation zwischen den USA und Iran in ihrem Land Anfang Jahr. Sie hätten Angst, sagen die beiden. Wovor, sagen sie nicht.
«Wir fürchten Krieg im Irak: immer, wenn sich Iran und die USA streiten, sind wir zwischendrin», sagt er. Da sage man besser nichts. Auf die Wirtschaftslage angesprochen, redet Azif dann aber Klartext: «In der Regierung sind alles Diebe: wie Ali Baba und die 40 Räuber.»
Das Öl sprudelt...
Etwas netter drückt es Basem Jamel Anton aus, ein bekannter irakischer Wirtschaftsexperte, der oft im Fernsehen zu sehen ist. «‹Wenn du aus Bagdad kommst, bist du grosszügig›, sagt ein Sprichwort.» Über ihre sprichwörtliche Grosszügigkeit gebe es aber auch den Witz: «‹Gib aus, was du in der Hosentasche hast, dann wird dir Gott schon helfen!›», lacht Anton.
Nach diesem Motto lebe die irakische Regierung, sagt der Wirtschafts- und Industrieexperte. Nur gebe sie das Geld für sich und nicht für die Allgemeinheit aus. Das irakische Haushaltsbudget beträgt über 100 Milliarden Dollar, 90 Prozent davon kommt vom Öl-Verkauf, vor allem vom Export. Aber ausser Öl produziert Irak fast nichts.
Visionen haben wir, aber entscheiden können wir nicht.
Nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 seien Iraks Fabriken im grossen Stil geplündert worden, sagt Anton. Heute dienten irakische Fabriken als Lager für Importprodukte. Denn ein Gesetz des damaligen amerikanischen Zivilverwalters Paul Bremer habe Importen Tür und Tor geöffnet. Der Anteil der Industrie am Bruttoinlandprodukt Iraks mache gerade mal noch 1.5 Prozent aus – sprich: produziert wird im Irak sozusagen nichts mehr.
…und versickert im Nirgendwo
«Der irakische Fabrikarbeiter ist 17 Minuten am Tag produktiv, der Rest ist Zeitverschwendung», sagt der Wirtschaftsexperte. Auch die Landwirtschaft produziere im Vergleich zu früher nichts mehr. Dafür habe der Irak eine aufgeblähte Verwaltung, mit vielen unfähigen Beamten, die mit Auflagen und viel Korruption die Privatwirtschaft abwürgten.
All das habe denn auch verhindert, dass es im Irak einen staatlichen Ölfonds gebe wie in Norwegen. Die Idee hat in Norwegen einen Sozialstaat ermöglicht. Im Irak fand sie aber kein Gehör. «Visionen haben wir, aber entscheiden können wir nichts», sagt Anton. Was im Irak passiere, werde von ausserhalb des Landes gesteuert.
Die Eskalation der Spannungen zwischen den USA und Iran habe das einmal mehr gezeigt, sagen zwei junge Frauen in Bagdads Karada-Quartier. «Ihren Streit tragen sie immer im Irak aus.» Auch dagegen demonstrieren die Menschen im Irak seit mehr als drei Monaten. Die Demonstrationen machten der schwachen Wirtschaft noch zusätzlich zu schaffen, finden aber einige.
«Es gibt keine Wirtschaft, nur Staatsangestellte bekommen einen Lohn», sagt Ali am Backgammon-Tisch. Und jetzt seien auch noch die drei wichtigsten Brücken Bagdads geschlossen, wegen der Proteste – das schade den Geschäften in diesem Viertel massiv. Einen Ausweg aus der Misere sieht Ali für sein Land nicht. Mehr sagen dazu möchte er nicht.