«Das Patriarchat ist ein Richter, der uns bei der Geburt verurteilt. Und unsere Strafe ist die Gewalt, die du nicht siehst....» Gut zwei Minuten nur dauerte sie, diese Performance, initiiert von vier Frauen aus Valparaíso in Chile, dem feministischen Kollektiv LasTesis. Es ist eine Art Tanz, eine Anklage, ein Wutschrei. Prägnant, stechend. Laut.
Es geht um Femizid, also um Morde, die gezielt an Frauen verübt werden, um Missbrauch und Vergewaltigung: «Es war nicht meine Schuld, es lag nicht daran, wo ich war. Und auch nicht daran, wie ich mich angezogen habe», singen und schreien die Frauen. Vor Regierungsgebäuden, auf öffentlichen Plätzen. In lateinamerikanischen Städten vor allem, in Mexiko-Stadt, in Bogotà, Sao Paulo etwa, aber auch in Europa, in Nordamerika, in der Türkei, in Indien, oder Nordafrika.
«El violador en tu camino» ist ein Protest, der ausdrückt, was nackte Zahlen nur bedingt können: Jeden Tag werden durchschnittlich 137 Frauen von ihrem Partner oder einem anderen Familienmitglied getötet. 50'000 im Jahr weltweit. Das zeigt eine aktuelle UNO-Studie.
Rund jede dritte Frau, auch das eine Statistik der UNO, kann von physischer oder sexueller Gewalt berichten. In Chile, wo die Protestperformance ihren Anfang genommen hat, enden gerade einmal acht Prozent aller angezeigten Vergewaltigungen mit einer Verurteilung der Täter. Es ist ein weltweites Problem und nicht neu. Immer häufiger und immer deutlicher wird es aber benannt. Das hat auch die #MeToo-Debatte gezeigt.
Politische Misere in Südamerika als Hauptauslöser
Die Politikwissenschaftlerin Birgit Meyer, die seit Jahren über Frauen und Männer in hierarchischen Beziehungen forscht, sagt denn auch: «Wir sind im Aufmerksamkeitsmodus.» Sie sieht durchaus einen – wenn auch indirekten – Zusammenhang zu #MeToo. Auch wenn die Performance «El violador en tu camino» viel lauter, viel kreativer, viel sichtbarer daherkomme.
Doch #MeToo war nicht unmittelbar der Anlass, sondern vielmehr die Übergriffe in Südamerika. In Chile, aber auch in anderen südamerikanischen Ländern. Dort gab es auch Proteste gegen die Regierungen, die massiv durch die Polizei niedergeknüppelt wurden und auch viele Frauen stark betroffen waren. «Es sind also aktuelle Vorkommnisse, wo die Frauen sich zusammengeschlossen haben und auf die Strasse gegangen sind», so Meyer.
Dass sich diese Protestperformance aus Chile zu einer transnationalen Protestbewegung ausweitet, glaubt Meyer deshalb nicht. Aber sie werde wahrscheinlich weiterhin viel Aufmerksamkeit auslösen. Es könne auch Anlass sein, mehr zum Thema zu forschen und zu berichten und auch Regierungen und die Polizei zu sensibilisieren.
Es ist ein weiterer wichtiger Beitrag zu Sensibilisierung – auch von Regierungen und Polizei.
In Mexiko-Stadt etwa hat die Bürgermeisterin vor kurzem einen Notstand ausgerufen. Wegen Gewalt gegen Frauen. Sie ist nicht die erste in ihrem Land. Sie sagte: «Dadurch wird das Problem sichtbarer. Das ist noch keine Lösung. Aber es kann ein Anfang sein.»