Bundeskanzlerin Angela Merkel traf auf ihrer wohl letzten Auslandsreise im Amt US-Präsident Joe Biden in Washington. Deutschland und die USA waren strategisch befreundet – bis Donald Trump ins Amt kam. Die USA-Politikexpertin Claudia Brühwiler erläutert, wie Merkels Besuch einzuschätzen ist.
SRF News: Ist ein Neustart der freundschaftlichen Beziehungen der beiden Länder gelungen?
Claudia Brühwiler: Ich würde eigentlich nicht von einem Neustart sprechen. Man knüpft da an, wo man 2016 aufgehört hat. Die Beziehungen zwischen Angela Merkel und den Vorgängern von Donald Trump waren ja ausgezeichnet.
An der Pressekonferenz sprach Angela Merkel auch die Überschwemmungen in Deutschland an. Damit rückt auch der Klimawandel wieder in den Fokus. Gibt es dazu etwas Neues?
Eigentlich nicht. Wobei uns klar sein muss, dass wir über das Gespräch zwischen Biden und Merkel nur das erfahren, was sie uns davon mitteilen wollen. Wir wissen nur, was sie in ihrem gemeinsamen Statement vor den Medien gesagt haben. Da war weniger vom Klimawandel als von der menschlichen Katastrophe die Rede. Auch Joe Biden hat hier sein grosses Bedauern und sein Mitgefühl ausgedrückt.
Die beiden haben auch über eine Strategie gegenüber China gesprochen. War da etwas wie eine gemeinsame deutsch-amerikanische Strategie herauszuhören?
Eine gemeinsame Strategie wäre übertrieben. Es zieht sich ein roter Faden durch die Pressekonferenz und generell durch die Beziehungen zwischen den beiden Staaten: Ein «Agree-to-disagree», die Bereitschaft, weiter zusammenzuarbeiten, auch wenn man in gewissen Belangen nicht dieselbe Strategie verfolgen möchte. Man ist sich schon einig, dass der Handel mit China fair sein muss. Aber in der Einschätzung, was es für Konsequenzen haben muss, wenn es unfair läuft, unterscheidet man sich wieder.
Merkel hat erreicht, was Deutschland will. Biden hat die Sanktionen ausgesetzt.
Dass man sich einig ist, uneinig zu sein, gilt auch bei Nord Stream 2, der Ostsee-Pipeline, die russisches Gas unter Umgehung der Ukraine nach Deutschland pumpen soll. Die USA lehnen das Projekt ab, weil sie eine starke Abhängigkeit Europas von Russland befürchten. Konnte Merkel die Bedenken von Biden etwas zerstreuen?
Ich glaube nicht. Aber sie hat erreicht, was Deutschland will. Joe Biden hat die Sanktionen ausgesetzt und fast schon resigniert zu Protokoll gegeben, dass die Pipeline schon zu 90 Prozent fertiggestellt war, als er das Amt angetreten hat. Er hat hier sein Vertrauen ausdrücken müssen, dass Deutschland sich durchsetzen würde, sollte Russland die Pipeline missbrauchen, um die Ukraine unter Druck zu setzen.
Zum Schluss gab es viel Lob für die deutsche Kanzlerin seitens des neuen US-Präsidenten Joe Bidens. Warum?
Merkel wird sehr geschätzt in den USA. Sie ist die erste Frau und Ostdeutsche an der Spitze Deutschlands. Zudem ist sie eine Person, die wirklich immer versucht, pragmatische Lösungen zu finden. In den USA sieht man ihr Amtsende als das Ende der Vorhersehbarkeit in den Beziehungen zu Deutschland an. Der Umgang mit Nordstream 2 ist beispielhaft hierfür. Die amerikanische Regierung weiss nun aber nicht, wem man im Oktober am G-20-Gipfel in Rom begegnen wird.
Was bleibt vom gestrigen Treffen in Bezug auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen?
Ich glaube, es ist eine schöne Ausgangslage für Merkels Nachfolge, dass man an eine sehr produktive, wohlgesinnte Zusammenarbeit anknüpfen kann. Aber in der Politik sind manchmal Symbole wichtiger als tatsächliche Aktionen.
Das Gespräch führte Roger Aebli.