Rund 33 Prozent sind ein bemerkenswert schwaches Ergebnis für Merkels CDU, die Christdemokraten bleiben dennoch die mit Abstand stärkste Partei. Noch. Die Frage ist, was geschieht, wenn der Merkel-Mörtel die Fugen dereinst nicht mehr zusammenhält.
Möglicherweise das Gleiche wie jetzt schon mit der SPD. Etwas mehr als 20 Prozent sind ein sehr schwaches Ergebnis für die Sozialdemokratie. Aus dem vielbejubelten Hoffnungsträger Martin Schulz ist ein bedauernswerter Parteiführer geworden, der nun ein gröberes Debakel verwalten muss. Damit erlebt die SPD allerdings nichts anderes als ihre GenossInnen in fast allen europäischen Ländern. Die Sozialdemokratie ist europaweit im Krebsgang.
Der Triumph der AfD
Das entscheidende Resultat aber liefert die AfD. Gut 13 Prozent. Damit zieht die Rechtsaussenpartei dank ihrer populistischen, überwiegend fremdenfeindlichen Parolen nicht nur ins nationale Parlament ein. Sie tut das mit gegen 90 Abgeordneten und rund 500 Mitarbeitern. Sie wird drittstärkste Kraft.
Und wenn es wider Erwarten doch noch zu einer grossen Koalition kommen sollte, wäre die AfD sogar Oppositionsführerin. Sie hätte immer das erste Wort nach der Regierung und besetzte eine grosse Zahl von Kommissionspräsidien.
Eine Partei, wohlverstanden, deren Vertreter und Vertreterinnen es in grosser Zahl ablehnen, sich von Nationalsozialisten abzugrenzen. Zwar sind nicht alle AfD-Abgeordneten, die am Dienstag in Berlin eintreffen werden, rechtsextrem. Aber die Bandbreite der AfD reicht rechts durchaus bis hin zu Neonazis.
Die Debatten, der politische Stil im Bundestag wird sich mit dem Einzug einer solchen Partei massiv verändern. «Sowas wird in Deutschland nicht passieren...», sagten mir deutsche Spitzenpolitiker noch vor wenigen Jahren. «Nicht in Deutschland, mit seiner Geschichte.» Jetzt ist es soweit. Auch hier folgt Deutschland mit etwas Verzögerung einem europäischen Trend.
Die Übrigen
Die FDP ist wieder da. Sozusagen mit dem Gegenkopnzept. Christian Lindner, lange Zeit der Alleindarsteller dieser Partei in der Krise, hat der Versuchung widerstanden, das Thema «Flüchtlinge», oder «Euro-Krise» zu populistischen Rettungsversuchen zu nutzen. Er blieb im grossen Ganzen bei den Kernthemen «schlanker Staat», «bessere Bildung», «Bürgerrechte», «pro-Europa». Und hat jetzt – zehn Prozent – erstaunlichen Erfolg damit.
Die Linkspartei bleibt ungefähr auf dem bisherigen Niveau, die Grünen ebenfalls. Was wiederum heisst, dass der Klimawandel und die soziale Gerechtigkeit eine vergleichsweise geringe Rolle gespielt haben gegenüber den emotionaleren und deshalb auch medial wesentlich präsenteren Themen Einwanderung und Kriminalität.
Wer wird jetzt regieren?
Rechnerisch gibt es nur zwei Möglichkeiten: Grosse Koalition, schwarz-rot, oder «Jamaika»: schwarz-gelb-grün. Die SPD liess bereits Minuten nach Bekanntwerden des Ergebnisses hören, sie werde in die Opposition gehen. Das war bei einem so schlechten Ergebnis auch zu erwarten: Die SPD braucht jetzt Profilierung in der Opposition. Sie muss sich aus der Umklammerung der CDU lösen. Und ein weiteres Motiv kommt hinzu: verhindern, dass die AfD Oppositionsführerin wird, dass die Rechtsnationalen den Ton angeben.
Also «Jamaika», CDU/CSU-FDP-Grüne. Diese Kombination drängt sich jetzt als einzig mögliche auf, aber auch sie wird nur ganz schwer zustandezukriegen sein. Denn zwischen dem rechten Flügel der CSU (aufgeschreckt durch sehr grosse Verluste in Bayern) und dem linken der Grünen liegen Welten. Und auch CDU und FDP sind sich in verschiedenen Fragen überhaupt nicht einig.
Offene Fragen
Das wird alles noch viel zu reden geben, genauso wie die Frage, wie dieser AfD-Erfolg in einem solchen Ausmass überhaupt hat zustandekommen können.
Viele geben Angela Merkel die Schuld für das Erstarken der äussersten Rechten. Weil sie seinerzeit die Grenzen geöffnet hat. «Wir schaffen das.»
Eine wesentliche Rolle dürfte auch gespielt haben, dass die AfD es immer wieder geschafft hat, medial breit aufzutreten dank gezielt platzierter Skandale. Als etwa die Parteichefin dafür plädierte, den Begriff «völkisch» wieder positiv zu besetzen (Petry), als prominente Vertreter sich dafür aussprachen, wieder stolz zu sein auf die Wehrmachtssoldaten des Zweiten Weltkrieges (Gauland) und auf das «tausendjährige Deutschland» (Höcke). Das schaffte mehr (Empörungs-) Präsenz, als viele Plakataktionen dies je gekonnt hätten.
Und ähnlich wie nach der Wahl in den USA wird auch hier noch untersucht werden, wer insbesondere auf dem Internet mit welchen Mitteln Einfluss genommen hat.
Fazit
Auch wenn das Problem zur Zeit gar nicht besonders akut war: das Flüchtlingsthema hat diese Wahl dominiert und es hat Deutschland, seiner Politik, ein deutlich verändertes Gesicht gegeben.