Besuch in einer Behindertenwerkstatt: Ein junger Mann ist für das ungeübte Ohr nur schwer zu verstehen. Er erklärt enthusiastisch seine Arbeit im St. Josefs-Stift im Bayerischen Eisingen. 230 Behinderte wie er stellen hier eine ganze Reihe von Produkten her, von Holzleitern, über Metallbeschläge bis zu elektronischen Bauteilen. Der junge Mann erklärt all das dem berühmten Gast, Christian Ude, dem sozialdemokratischen Spitzenkandidaten.
Ude will hier in Bayern die CSU aus der Regierung kippen. Das wird ihm zwar kaum gelingen, wie die Umfragen zeigen, aber der Kandidat kämpft bis zum letzten Tag. Mit der Hauptforderung der SPD: «Mehr soziale Gerechtigkeit».
Und so besucht er soziale Institutionen wie dieses St. Josefs-Stift in Eisingen, bei Würzburg. Ude nimmt sich Zeit um mit den Leuten hier der Werkstatt zu reden, gibt anschliessend draussen noch Fernsehinterviews, dann geht es weiter. Im grossen rot-weissen Wahlkampfbus.
Der SPD-Wählerschaft viel zugemutet
Auf der Weiterfahrt reden wir über seine Aussichten, während des Gesprächs blättert er in seinen Wahlkampfbroschüren. «Soziale Gerechtigkeit» steht da überall zuoberst: Die Forderung nach 8 Euro 50 Mindestlohn, nach fairen Gesamtarbeitsverträgen.
Angesichts seiner schlechten Umfragewerte wollen wir von Ude wissen: war Soziale Gerechtigkeit möglicherweise das falsche SPD-Thema im wirtschaftlich starken Deutschland? Er meint, grundsätzlich nein. «Es ist ganz offensichtlich für die Bevölkerung das wichtigste Thema», sagt Ude. Aber er gibt auf Nachfrage zu, dass die Sozialdemokraten ausgerechnet bei diesem Thema «soziale Gerechtigkeit» immer noch ein Problem haben. «Weil die SPD gerade ihrer Wählerschaft auch Reformen zugemutet hat, die als nicht sozialer Einschnitt empfunden worden sind», erklärt Ude.
Damit ist die die sogenannte «Agenda 2010» gemeint. Also die sozialen Einschnitte, die seinerzeit von SPD-Kanzler Schröder durchgezogen wurden: Senkung des Arbeitslosengeldes, Erhöhung des Rentenalters auf 67. Wären die SPD heute ohne diese «Agenda 2010» besser dran? Jedenfalls, sagt SPD-Kandidat Ude, «wäre es leichter den Anwalt der kleinen Leute zu geben. Aber Deutschland wäre in einer schlechteren wirtschaftlichen Verfassung». Man habe also die richtige Politik gemacht, aber die sei leider unpopulär.
Seehofer: «Soziale Fragen spielten immer eine Rolle»
Udes Gegenspieler, Ministerpräsident Horst Seehofer, CSU, tritt im Wahlkampf meist etwas pompöser auf als Christian Ude. In einer grossen Halle in München wird zunächst ein Werbe-Film für die CSU auf zwei Grossleinwänden gezeigt. Danach folgt «Seehofer Direkt». Eine Veranstaltung in welcher Bürger fragen, Seehofer antwortet – zwei Stunden lang.
Nach der Veranstaltung sprechen wir mit ihm – mit Horst Seehofer – über das gleiche Thema, soziale Gerechtigkeit, und darüber, weshalb dieses Thema der SPD nicht mehr nützt, ihm, der CSU, nicht mehr schadet. «Die sozialen Fragen spielen in Deutschland traditionsgemäss eine grosse Rolle. Und da bin ich relativ zuversichtlich, weil die Kanzlerin hier für eine sehr soziale Politik sorgt.»
Das tut Merkel und zwar indem sie sozialdemokratische Forderungen einfach übernimmt. Etwa – in leicht abgewandelter Form – die SPD-Forderung nach einem Mindestlohn. Seehofer gibt freimütig zu, dass die sozialdemokratische Hauptforderung – ein gesetzlicher Mindestlohn von 8.50 Euro – der CDU hätte gefährlich werden können, wenn Merkel nicht darauf reagiert hätte.
Fast wörtlich sozialdemokratische Losungen übernommen
«Das hätte gefährlich werden können, aber dahinter steht ja der Konsens in der Union, dass jemand, der Vollzeit beschäftigt ist, auch einen Lohn bekommen soll, von dem er seine menschenwürdige Existenz bestreiten kann,» sagt Seehofer zu SRF.
Dies war zu Beginn des Wahlkampfes fast wörtlich eine sozialdemokratische Losung. Merkel hat sich dieses Thema sozusagen angeeignet. Die sozialdemokratische Forderung nach einem nationalen Mindestlohn damit entschärft. Gleich wie bei der Energiewende oder anderen Themen.
So wie die Zahlen jetzt, einige Tage vor der Bayern-Wahl, ausschauen, sieht es schlecht aus für Ude und die SPD, gut für die CSU und Horst Seehofer. Der wird am Sonntag vermutlich ein starkes Resultat liefern, und damit auch ein gutes Signal für Frau Merkel. Welche ihrerseits Seehofer mit ihren fast sozialdemokratischen Parolen die Aufgabe erleichtert hat.