SRF News Online: Am kommenden Sonntag treffen die beiden Kandidaten für das Kanzleramt im einzigen TV-Duell aufeinander. Kann das für beide der wichtigste Termin in diesem Wahlkampf werden?
Thorsten Faas: Wir kennen diese amerikanisierten Fernsehduelle in Deutschland seit 2002. Und schon damals war klar, dass da ein neues und wichtiges Format entstanden ist. Man sieht das an den Zuschauerzahlen: 2005 schauten 21 Millionen Menschen zu – der bisherige Rekord. Selbst 2009, das als eher langweiliges TV-Duell gilt, schalteten 15 Millionen Menschen ein. Und unter diesen Zuschauern sind natürlich auch Menschen, die sich nicht sonderlich für Politik interessieren. Diese Struktur der Zuschauer und die grosse Reichweite haben ein grosses Potenzial, Menschen zu mobilisieren und die Wahlbeteiligung zu steigern. Insofern: Ja, das ist ein wichtiges Format. Das haben auch die Parteien erkannt. Die Kandidaten bereiten sich präzise auf diese Auftritte vor. Ich denke, deshalb können wir auch am Sonntag ein spannendes, intensives Duell erwarten – mit offenem Ausgang.
Welchen Einfluss haben die Duelle auf den Wahlentscheid?
Wir erforschen diese Duelle seit 2002. Der durchgängigste Effekt ist tatsächlich der, dass mit den Duellen die Wahlbeteiligung steigt. Sie haben einen mobiliserenden Effekt – gerade auch in Schichten der Gesellschaft, die sich nicht so sehr für Politik interessieren. Für sie es eine sehr elegante und effiziente Möglichkeit, sich zu informieren und danach zu einer Entscheidung zu kommen. Die Wahlbeteiligung steigt. Was wir bisher noch nicht genau messen können, ist, ob das Duell immer dem Herausforderer oder immer dem Amtsinhaber nutzt.
Wie messen Sie den Einfluss der Duelle?
Im Vergleich zum unübersichtlichen Wahlkampf ist das Duell für uns ein Ereignis, wo wir sehr klare Grenzen abstecken können. Typischerweise gehen wir mit klassischen Umfragen an die Arbeit und fragen dort nach Wahlbeteiligungs- und Wahlabsicht. Vor allem bei der Wahlabsicht kann man dann sehen, dass in bestimmten Gruppen die Wahrscheinlichkeit ansteigt. Wir untersuchen die Duelle aber noch spezifischer: Wir laden Menschen ein, mit uns das Duell zu verfolgen und in Echtzeit ihre Eindrücke wiederzugeben. Die haben dann einen Drehregler in der Hand und können Sekunde für Sekunde angeben, wie sie finden, was auf dem Bildschirm passiert. Das flankieren wir mit Befragungen vor und nach dem Duell und können so sehen, was sich durch das Duell verändert hat.
Sie haben angedeutet, dass es schwer ist zu sagen, ob die Duelle dem Herausforderer oder dem Amtsinhaber entgegenkommen. Gibt es denn eine Tendenz?
Von Struktur und Anlage her ist es tatsächlich eine grosse Chance für den Herausforderer. Allein die Symbolik: Er oder sie steht in diesem Duell völlig gleichberechtigt neben dem Amtsinhaber und agiert auf Augenhöhe. Allerdings spielt auch die Erwartungshaltung im Vorfeld eine grosse Rolle. Beispiel Peer Steinbrück: Ich glaube, man traut ihm schon zu, in diesem Debattenformat positiv und gewinnend zu agieren und zuzuspitzen. Für die SPD dürfte das Duell zudem die letzte Chance sein, noch einmal einen Trend oder ein Momentum in den Wahlkampf zu bringen. Insofern ist die Erwartungshaltung an Steinbrück sicher sehr hoch. Und das neutralisiert den strukturellen Vorteil, den er als Herausforderer vielleicht hat, wieder ein bisschen.
Die Regeln des Duells sind präzise, viele Menschen werden zuschauen. Womit können die Kandidaten bei diesen Auftritten punkten?
Unsere sekundengenauen Messungen zeigen, dass es bestimmte Momente in solchen Duellen gibt, in denen sie punkten können. Das ist immer dann der Fall, wenn es den Kandidaten gelingt, Grundwerte ihrer eigenen Partei mit einer gewissen Alltagserfahrung zu verbinden. Der damalige Kanzler Gerhard Schröder hat 2002 beispielsweise aus seiner persönlichen Biographie Forderungen für die Bildungspolitik abgeleitet. Das war ein Moment, wo dieser Brückenschlag zwischen abstrakten Werten und greifbaren Alltagserfahrungen gelang. Sicher ist, dass sich die Kandidaten nicht in Zahlen verlieren sollten – schon gar nicht in der dritten Nachkommastelle. Damit würde man die Aufmerksamkeit der Zuschauer verlieren. Die Kunst ist, Inhalte, Werte und Erfahrungen so zu verbinden, dass die Aussagen verständlich bleiben und berühren.
Gibt es auch Dinge, welche die beiden Kandidaten am Sonntag tunlichst vermeiden sollte?
Zu harte Angriffe auf den Gegner vielleicht. Ich kann da nur spekulieren, vermutlich wirkt das zu aggressiv und verbissen. Das mögen die Leute offenkundig nicht. Für uns sind aber eigentlich Momente spannender, in denen unsere Messergebnisse abweichen von der öffentlichen Deutung im Nachhinein. Im Duell 2005 sprach Gerhard Schröder über die Beziehung zu seiner Frau. In der Nachberichterstattung wurde das als grosse Liebeserklärung dargestellt, er erreichte damit eine grosse Aufmerksamkeit in den Medien. In dem Moment, als er es sagte, konnten wir aber gar keine Auswirkungen feststellen.
Das gilt übrigens auch für das Duell insgesamt: Es wird häufig als langweilig und überflüssig dargestellt. Die Probanden, die wir einladen, schätzen das Duell allerdings immer sehr. Sie finden es informativ und lernen nachweislich daraus.
Angela Merkel hat schon Erfahrung im TV-Duell um die Kanzlerschaft, Peer Steinbrück ist in einem zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen aufgetreten. Was sollten beide aus diesen früheren Auftritten gelernt haben?
Was sie sicher gelernt haben, ist, dass es extrem wichtig ist. Man kann beobachten, dass sie sich in den Tagen vor dem Duell rar machen. Beide haben sich aber in den vergangenen Duellen nicht wirklich grobe Schnitzer geleistet, alle Auftritte waren höchst professionell. Ich schätze, das wird auch am kommenden Sonntag so sein – da sind sie wohl Profis genug. Es gibt nur eine kleine Unbekannte: den neuen Moderator Stefan Raab. Es könnte spannend sein, ob es ihm gelingt, durch eine andere Art des Fragenstellens Unruhe ins Duell zu bringen. Aber das müssen wir abwarten.