Der Widerstand in der eigenen Partei wächst. Erst war es ein leises Grummeln. Ein paar Hinterbänkler, die für Verteidigungsminister Pistorius als Kanzlerkandidaten warben. Doch der Kreis jener, die denken, dass mit Olaf Scholz kein Blumentopf mehr zu gewinnen sei, wird praktisch stündlich grösser. Prominente Parteivertreter gehen auf Distanz, wie die früheren SPD-Chefs Sigmar Gabriel und Franz Müntefering. Letzterer sieht «kein Vorrecht auf eine weitere Kanzlerkandidatur.»
Auch die Vorsitzenden des mitgliederstärksten Landesverbands Nordrhein-Westfalen haben Diskussionsbedarf. Deren Wort hat Gewicht, denn Wiebke Esdar und Dirk Wiese sind Vorsitzende der mächtigen Strömungen innerhalb der SPD-Fraktion, Esdar als Sprecherin der Parlamentarischen Linken, Wiese als Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises. Man höre viel Zuspruch für Boris Pistorius, schreiben sie in einem gemeinsamen Statement, und dass das Ansehen von Scholz stark mit der Ampel-Koalition verknüpft sei. Um nicht zu sagen, ramponiert.
Krisenstimmung in der Parteizentrale
Bislang stellt sich der SPD-Vorstand geschlossen hinter Olaf Scholz. «Er ist unser Kanzler und er ist unser Bundeskanzlerkandidat», erklärte Saskia Esken im Frühstücks-Fernsehen fast schon trotzig. Auch für Kabinettsmitglieder ist Scholz gesetzt. Doch all die Bekenntnisse sind noch kein Beschluss der Parteigremien, und nur darauf kommt es an. Angesichts des Flächenbrands, der sich in der Sozialdemokratie ausbreitet, erscheint es fahrlässig, die K-Frage erst am sogenannten «Wahlsieg»-Kongress am 30. November oder am 11. Januar an einem Parteitag abschliessend zu klären.
Die öffentliche Meinung ist sowieso schon gemacht. Im aktuellen Trendbarometer von RTL/ntv geben noch 13 Prozent der Befragten an, dem amtierenden Bundeskanzler bei einer Direktwahl ihre Stimmen geben zu wollen. CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz kommt auf 34 Prozent. Und im neuen INSA-Politiker-Ranking ist Olaf Scholz der unbeliebteste aller Politiker, rangiert auf dem 20. und letzten Platz. Auf Platz 1: Boris Pistorius.
Unklare Ambitionen
Der Hoffnungsträger der SPD zeigt sich bisher aber als loyaler Parteisoldat, Scholz mache einen «richtig guten Job». Doch ein dezidiertes «Nein» zu einer Kanzlerkandidatur hört man von Boris Pistorius auch nicht. In der Politik solle man nie irgendwas ausschliessen, meinte der Verteidigungsminister an einer Veranstaltung in Passau. Ausser, wie er augenzwinkernd nachschob, dass er noch Papst werde.
So sehr Boris Pistorius für viele nun als Idealbesetzung gilt – ob die SPD mit ihm grössere Wahlchancen hätte? Man kennt seine Haltung zur Verteidigung, zu Russland, zur Unterstützung der Ukraine. Seine Positionen zu zur Wirtschafts-, Sozial-, Gesundheits-, Finanz-, Landwirtschafts-, Bildungs-, Umwelt- und Klimapolitik sind weitgehend unbekannt. Boris Pistorius ist eine Blackbox.