SRF: Hat Grossbritannien wirklich ein Ausländerproblem, oder ist das einfach Populismus vor den Wahlen im nächsten Jahr, was Premierminister David Cameron da vorhat?
Martin Alioth: Es ist beides. Die Einwanderung nach Grossbritannien ist tatsächlich hoch, der Druck auf Schulen, Sozialwohnungen und Spitäler in gewissen Gebieten ebenfalls. Cameron hat diese Tatsache als Hintergrund gewählt. Allerdings kommen immer noch mehr als die Hälfte der Nettoeinwanderer aus Nicht-EU-Ländern. Diese Einwanderung wäre leichter zu kontrollieren.
Warum ist Grossbritannien so attraktiv, gerade auch für Ausländer aus EU-Staaten?
Weil Grossbritannien ein immer grösseres Wirtschaftssegment mit sehr tiefen Löhnen hat. Der Staat hat deshalb ein Sozialsystem eingerichtet, das diesen schlecht verdienenden Menschen einen Einkommenszuschuss gewährt, um ihr Einkommen auf das Existenzminimum anzuheben. Das ist für Einwanderer natürlich attraktiv, weil der Zuschuss ein zusätzliches Einkommen bringt.
Wieviel Unterstützung kann Cameron im Parlament für seine Ideen erwarten?
Es ist vorläufig nur ein konservativer Plan. Er wird also nur umgesetzt, wenn Cameron die nächste Wahl im Mai gewinnt. Unter dem Eindruck des Erfolgs der EU-feindlichen Ukip-Partei aber haben sowohl Labour wie auch die Liberaldemokraten in den letzten Tagen ähnliche Pläne vorgelegt.
Schluckt die Europäische Union Camerons Pläne und dessen Drohgebärde?
Ich halte das für fraglich. Die ersten Reaktionen in den letzten Tagen waren zwar grundsätzlich positiv, die EU zeigte Gesprächsbereitschaft. Doch Cameron hat es heute bestätigt: Es braucht eine Vertragsveränderung – und das haben die EU-Staaten bisher gemieden, wie der Teufel das Weihwasser.
Das Gespräch führte Simon Leu.