Kakuma ist ein Paradies für Skorpione, Heuschrecken und Malariafliegen. Die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt bei 40 Grad. Ein Mann mit einem Megafon weist rund 100 Neuankömmlinge an der Empfangsstelle an, sich in eine Reihe zu stellen. Hier am blauen Tor endet der Exodus der Menschen, die vor Krieg, Dürre und Hunger flüchten.
Es sind Menschen wie Isimini Ajia aus Juba in Südsudan. Sie kam mit drei Kindern, aber nicht mit ihren eigenen: «Meine Kinder leben nicht mehr. Im Südsudan herrscht Krieg und Hunger. Rebellen überfallen Dörfer, plündern die Häuser und töten die Menschen.»
Als es nichts mehr zu essen gab, nahm Isimini die Kinder ihrer Nachbarin und brach nach Kenia auf. Unterwegs wurden sie beschossen: «Es gibt überall Strassensperren. Die Rebellen rauben dort sogar die Hilfsgüter für die Hungernden. Hier im Lager sind wir endlich in Sicherheit.»
Fünf kleine Spitäler für das Nötigste
Das Lager ist 15 Quadratkilometer gross. Darauf stehen ausgerichtete Normhäuser aus Lehmblöcken mit Wellblechdächern. 2100 Kalorien gibt es pro Tag und Person und eine Gesundheitsversorgung in fünf kleinen Spitälern. Dort werden auch die Neuankömmlinge untersucht. Zum Beispiel der elf Monate alte Mohamed, der vom Arzt Adam Lussi gerade gewogen wird.
«Fünf Kilo. Das ist halb so viel, wie er in seinem Alter wiegen sollte. Das Haar des Kleinkindes ist dünn und schütter, die Augen trüb. Die grossen Gesässmuskeln sind stark geschrumpft und bereits abgebaut. Alles Zeichen einer starken Unterernährung», stellt Lussi fest.
Die Ersten kamen vor 25 Jahren
Die ersten Flüchtlinge kamen lange vor Mohamed nach Kakamu. 1992 waren es Kindersoldaten aus dem Bürgerkrieg im Südsudan. Seither treibt jede Krise weitere Menschen nach Kakuma. Mittlerweile leben hier 180'000 Menschen. Aus dem Lager wurde eine Stadt mit Cafés, Märkten und Friseuren. Eine Insel mitten in der Halbwüste.
Hussein Ahmed kam vor 20 Jahren als kleiner Bub aus Mogadischu – heute verkauft der Somalier auf dem Markt Glühbirnen. «Am Ende leben wir in einem Konzentrationslager. Wir bekommen Nahrung und ein Dach über den Kopf, aber wir können das Lager nicht verlassen.» Reisepapiere zu bekommen, sei sehr schwierig. Wenn es einer doch schaffe, fange der Kampf erst richtig an. «Wie will man ohne Geld in der Welt überleben? Es ist ein Gefängnis. Man muss sich damit abfinden und schauen, wie man überlebt.»
Der Traum von einem würdigen Leben
In Kakuma wird gestorben und geboren. Viele Kinder haben in ihrem Leben noch nie etwas anderes gesehen und gehen hier zur Schule, etwa in die «Vision Secondary School». 18-Jährige, die das siebte Schuljahr besuchen, sind keine Seltenheit. Junge Männer, die im Krieg nie eine Schule besuchen konnten.
Viele träumen von einer Zukunft ausserhalb des Lagers und von einem sinnvollen Beruf. «Ich will einmal Lehrer werden. Ich möchte die Kinder meines Landes stark und klug machen, weil sie unsere Zukunft sind», sagt etwa Noah. Die meisten möchten Lehrer, Arzt oder Ingenieur werden. Nur der kleine Ismahel hat einen anderen Berufswunsch: Präsident von Südsudan: «Ich würde alles machen, damit meine Leute in Frieden und ohne Angst leben können.»
Es ist ein Zyklus. Das Lager reproduziert sich selber.
An ihrem staubigen Schreibtisch schüttelt die stellvertretende Schulleiterin Eveline Nadina traurig den Kopf. Einige wenige würden es vielleicht schaffen, das Lager zu verlassen und ihren Traum zu verwirklichen. Das reale Leben sehe anders aus.
«Wir sind hier mitten in der Wüste. Hier kann man nichts pflanzen. Es gibt hier keine Industrie und keine richtigen Arbeitsplätze. Die meisten meiner Schüler bleiben hier. Sie heiraten und bekommen Kinder. Die Männer haben im Lager eine schlechtbezahlte Hilfsarbeit und die Familie versucht, irgendwie und ohne Perspektive zu überleben. Das Lager reproduziere sich in diesem Zyklus selber.
Die junge Istarlin klagt an
Ein Kind dieses Zyklus ist Istarlin. Die Frau mit den wachen Augen wurde vor 21 Jahren im Lager geboren. Sie sitzt mit ihrer Freundin in einem der schäbigen Cafés. Auf dem Papier ist sie Südsudanesin. Ihre Adresse jedoch lautet Zone 2, Block 3, Kakuma. Kakuma bedeutet auf Swahili so viel wie «nirgendwo».
Istarlin sagt: «Als Kind, das hier geboren wurde, ist man verdammt, in diesem Lager zu leben. Jeden Tag fragt man sich: Wer bin ich und woher komme ich eigentlich? Was mich und meine Generation hier am meisten beschäftigt: Bleiben wir für immer hier und diskriminiert, weil wir von Geburt an Flüchtlinge waren?»
Ich möchte von unserem Präsidenten wissen, wie er sich fühlen würde, wenn sein Kind in diesem Lager aufwachsen würde.
Istarlin spricht leise und trotzdem ist ihre Wut auf die südsudanesische Elite spürbar, die sicher in grossen Häusern in Nairobi lebt, ihre Kinder in London zur Schule schickt und zum Einkaufen nach Südafrika fliegt: «Ich möchte von unserem Präsidenten wissen, wie er sich fühlen würde, wenn sein Kind in diesem Lager aufwachsen würde?»
Es bleibt keine Zeit, um nachzudenken, was Präsident Salva Kiir antworten würde. Istarlins Freundin Diheu möchte rechtzeitig nach Hause kommen. Ab 18.00 Uhr herrscht in Kakuma Ausgangssperre. «Nachts werden viele vergewaltigt. Immer wieder hört man Schüsse.»
Für die Sicherheit wäre die kenianische Polizei verantwortlich. Doch diese kassiert vor allem Schutzgelder. Die Menschen im Lager sind den Beamten ausgeliefert. Ihre Herkunftsländer liegen in Trümmern, in Kenia sind sie unerwünscht. Sie sind die Gestrandeten von Kakuma im Nirgendwo.