SRF News: Sie berichteten in der «Tagesschau» von Hilfsgütern, die Kathmandu nun erreichen, wobei die Mehrheit der Bevölkerung jedoch kaum etwas davon sieht. Wo liegt das Problem?
Barbara Lüthi: Das Problem liegt in der Koordination. Die internationale Hilfe ist zwar angelaufen, es fehlt aber jegliche behördliche Koordination. Auffällig stark hier in Kathmandu ist vielmehr die Hilfe untereinander. Zudem fällt der Einsatz von rund 500 Freiwilligen der «Federation of Nepalese Chambers of Commerce and Industry» (FNCCI) auf. Hinter dieser Hilfe der Dachorganisation der nepalesischen Industrie- und Handelskammern stehen Geschäftsleute, die nun Nahrungsmittel wie Suppe und Medikamente zur Verfügung stellen.
Haben Sie neue Erkenntnisse betreffend des schwierigen Zugangs in die ländlichen Regionen?
Auch hier scheint erste Hilfe nun anzulaufen. Erste Hilfsorganisationen sind unterwegs nach Gorkha im Zentrum Nepals, darunter befinden sich auch Schweizer Fachkräfte wie Mediziner und Logistiker. Es ist zu befürchten, dass zahlreiche Dörfer komplett verschüttet worden sind.
Viele Menschen hier in Kathmandu versuchen bisher vergeblich Lebenszeichen ihrer Angehörigen in den ländlichen Regionen zu erhalten — die Telefonleitungen in die Distrikte funktionieren nicht mehr. Auch können sie ihnen nicht zu Hilfe eilen, denn auf dem Landweg kann über die vielerorts zerstörten Strassen kaum etwas transportiert werden. Es stellen sich derzeit noch viele offene Fragen über das vollständige Ausmass der Zerstörung in Nepal.
Sie haben in Thailand, China und auf den Philippinen bereits mehrere Orte unmittelbar nach Naturkatastrophen gesehen. Was sind Ihre ersten Eindrücke nach den Erdbeben in Nepal?
Es ist für mich noch zu früh, die Gesamtsituation zu beurteilen. Ich werde morgen nach Gorkha reisen, dann lässt sich das Ausmass wohl besser einordnen.
Auf den Philippinen habe ich Orte angetroffen, die dem Erdboden gleichgemacht waren. Hier in Kathmandu steht noch verhältnismässig viel. Doch das will nichts heissen: 2008, nach dem schweren Erdbeben in der chinesischen Provinz Sichuan, war ich zuerst in der Stadt Chengdu. Nur wenige Kilometer ausserhalb zeigte sich die tatsächliche Schwere der Katastrophe.
Auf den Philippinen und in China lief die Koordination jedenfalls anders an; da waren die Regierungen rasch präsent. In Nepal wartet man zurzeit noch auf einen ersten öffentlichen Auftritt des Premierministers. Es wäre für die Bevölkerung wichtig zu wissen, dass die Regierung bemüht ist, so gut wie möglich zu helfen.
Das Gespräch führte Emanuel Gyger.