Die wertvollen Rohstoffe der Ukraine sind seit Wochen in den Schlagzeilen. Allerdings bergen die ukrainischen Böden neben Öl, Gas und diversen seltenen Erden auch noch einen anderen Schatz. Die Äcker in der Ukraine sind so fruchtbar wie in kaum einem anderen Gebiet weltweit. Schwarze Erde nennt sich das Phänomen. Was diese Böden so wertvoll macht, erklärt Geograf Sebastian Dötterl.
SRF News: Was macht diese Böden in der Ukraine so wertvoll?
Sebastian Dötterl: Sie sind extrem humusreich und damit auch sehr nährstoffreich. Der Unterschied zu den meisten anderen Böden, die agrarwirtschaftlich genutzt werden, ist die Dicke dieser Schicht und damit auch die Widerstandsfähigkeit dieser Böden gegen Erosion und gegen Degradation der Fruchtbarkeit. Die Ukraine kann durch diese Böden einen unglaublichen Überschuss an Agrarprodukten produzieren, der für den Weltmarkt und die Versorgung von Ländern, die weniger Ackerbau betreiben können, extrem wichtig ist.
Warum hat gerade die Ukraine so viele fruchtbare Böden?
Das hat mit der geologischen und klimatologischen Vergangenheit zu tun. Man muss zurückgehen bis zum Ende der letzten Eiszeit, als der skandinavische Eisschild in Europa und der nordamerikanische Eisschild in Nordamerika viel weiter vorgedrungen sind. Vor diesen Eisschilden gab es viel Land, das keine Vegetation hatte und in dem sich viele Sedimente durch den Gletscherabrieb durch die Flüsse ansammeln konnte.
Die produktivsten Gebiete der Ukraine findet man im Süden und im Osten.
Diese Sedimente sind extrem nährstoffreich und mineralienreich, und wurden durch den Wind verlagert. Die verlagerten Sedimente bezeichnen wir als Löss. Aus diesen Lössen heraus entstehen extrem fruchtbare Böden.
Wo befindet sich diese schwarze Erde in der Ukraine?
Die produktivsten Gebiete der Ukraine findet man im Süden und im Osten. Also dort, wo aktuell Krieg geführt wird. Diese Böden sind kein Hauptkriegsziel Russlands, aber es ist natürlich ein strategisches Ziel, diese Gebiete unter Kontrolle zu bekommen, weil es eine Ressource ist, die für viele Länder der Welt extrem wichtig ist.
Wenn wir uns die Hauptmärkte anschauen, in denen die Ukraine heute Agrarprodukte exportiert, finden wir dort die EU, China, Indien, Ägypten, die Türkei, Pakistan, Bangladesch, Nigeria, Indonesien, Saudi-Arabien, sowie viele Länder in afrikanischen Trockengürteln. All diese Länder können ihre eigene Agrarproduktion kaum hochschrauben und sind abhängig von diesen Exporten.
Wenn Russland diese Gebiete unter ihre Kontrolle bringt, wird das Land eine noch stärkere Marktmacht erlangen.
Was würde es für die Nahrungsmittelversorgung in Europa und weltweit bedeuten, wenn die Flächen durch den Krieg unfruchtbar werden oder nicht mehr zur Ukraine gehören?
Die europäische Agrarproduktion deckt den eigenen Bedarf. Wir müssen also keine Hungersnöte in Europa befürchten, wenn die Ukraine als Importeur wegfallen würde. Schwellenländer mit stark wachsender Bevölkerung sind jedoch extrem auf diese Produkte und auch auf stabile Preise angewiesen. Dort kann man mit einer stärkeren Abhängigkeit und höheren Preisen rechnen.
Wenn Russland diese Gebiete unter ihre Kontrolle bringt, wird das Land eine noch grössere Marktmacht erlangen, da es ohnehin schon ein grosser Exporteur für Nahrungsmittel und agrarische Produkte ist. Man muss davon ausgehen, dass dieses Druckmittel dann auch genutzt wird, um beispielsweise politische Willensbildung in der UNO zu beeinflussen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.