Im westlichsten Zipfel des Rotterdamer Hafens passiert in diesen Tagen wahrlich Grosses: In einer 500 Meter langen Halle entstehen die Fundamente für den 140 Windturbinen umfassenden Windpark «Hollandse Kust Zuid», der rund 20 km vor der südniederländischen Küste vom schwedischen Energieriesen Vattenfall in die Nordsee gebaut wird.
Monopiles heissen die etwa 800 Tonnen schweren Pfähle in der Offshore-Sprache. Sie bestehen aus mehreren Stahlringen, die in der Halle mithilfe eines simplen Joysticks von einem Ort an den anderen dirigiert werden.
In einem ersten Arbeitsgang müssen die Kanten abgeschliffen und gesäubert werden. Die Ringe mit einem Durchmesser von acht Metern drehen sich dabei im Schnecken-Tempo. Auf diese Weise können die Angestellten die Ränder immer von der gleichen Position aus abschmirgeln.
Riesige Bunsenbrenner bringen anschliessend die Nahtstellen vor dem Zusammenfügen auf Temperatur. Erst danach kann geschweisst werden. Dafür lassen sich die Männer in ihren Schutzkleidern auf einer Hebebühne bis fast an die Decke der Halle hieven.
Zum Schluss, nachdem alle Ringe angeschweisst wurden und ein etwa 80 Meter langes Rohr entstanden ist, bekommt dieses in der Nachbarhalle einen Anstrich. Nun ist der fertige Monopile bereit, um mit einem Spezialschiff an seinen vorgesehenen Platz in der Nordsee transportiert zu werden.
Auf den in den Nordseeboden gerammten Pfeiler wird danach ein 100 Meter hoher, schlanker Mast montiert an dem zuoberst der Rotor und die drei Blätter angebracht werden.
Die Fertigstellung des Windparks «Hollandse Kust Zuid» ist für 2023 geplant. Dann könnten die 140 Windturbinen Elektrizität für 1.5 Millionen Haushalte liefern. Von dieser Windfarm fliesse allerdings die Hälfte in ein BASF-Werk im belgischen Antwerpen, erklärt der Sprecher von Vattenfall.
Wind wird als Alternative in den Niederlanden zum eigenen Gas immer wichtiger. Ein Viertel des niederländischen Teils der Nordsee soll bis in 30 Jahren mit Windfarmen voll gebaut werden. Experten gehen davon aus, dass sie dereinst rund 40 Prozent der Energienachfrage nachhaltig abdecken.
Fischer befürchten Umsatzeinbussen
Aber die vielen Turbinen wecken Argwohn bei jenen Menschen, die an der Küste wohnen. Viele empfinden die hellen weissen Streifen, die bald von allen niederländischen Stränden aus zu sehen sein werden, als «Horizontverschmutzung».
Noch mehr Mühe mit diesen grossen Veränderungen haben die Fischer. Sie müssen die Windparks sowie die Schutzgebiete, die als gesetzliche Kompensationen bestimmt werden, weiträumig umfahren und befürchten deswegen verständlicherweise ansehnliche Umsatzeinbussen.
Auch der 38-jährige Seezungenfischer Cor Vonk ärgert sich über die enormen Umformungen in seinem Revier: «Die ganze Nordsee wird jetzt in ein riesiges Industriegebiet verwandelt», seufzt er. Für ihn sind die Windparks keine notwendige Energie-Alternative, sondern Eindringlinge in seinem Revier.
Schon jetzt stelle er fest, dass er mit seiner Crew in der Nähe einer Windfarm weniger Fische fange. Wie viele seiner Kollegen befürchtet auch Vonk, dass sich die Bodenstruktur der Nordsee in den nächsten Jahrzehnten durch die intensive Bautätigkeit komplett verändern werde. «Das hat Folgen für die Natur und die Nahrung der Fische», ist er überzeugt.
Chance für ausgestorbene Meeresbewohner
Andere wittern die Neuerungen in der Nordsee als eine neue Chance. So versuchen Meeresforscher wie Oscar Bos vom Wageningen Marine Research Institut, die typischen, flachen Nordsee-Austern wieder anzusiedeln. Durch Krankheiten und Überfischung sind diese einst sehr beliebten salzigen Köstlichkeiten ausgestorben.
Rund um das Fundament der Windturbinen vermuten die Wissenschaftler das perfekte Klima für die Austern. Mit einer Unterwasserdrohne kontrolliert der Meeresforscher deren Wachstum – Tauchen ist in den Windparks verboten.
Der blaue Bausatz ist mit sechs kleinen Schiffsschrauben bestückt, dank denen sich die Drohne im Wasser höher und tiefer, nach vorne und hinten, aber auch hin und her bewegen kann. In der gläsernen Röhre in der Mitte befinden sich Computer und Kamera.
Wenn Oscar Bos die Drohne wässert, liefert sie dank eines langen Datenkabels Unterwasserbilder direkt ins Boot auf seinen Laptop, während er mit einem Joystick das Gefährt lenkt. Noch leistet der Meeresbiologe damit Pionierarbeit. In Zukunft will der niederländische Staat die Windparkbauer verpflichten, den Boden der Windparks regelmässig untersuchen zu lassen.
Ist das Austernprojekt erfolgreich, könnte diese «Passiv-Fischerei» eine Alternative für Cor Vonk und seine Berufsgenossen werden. Aber dazu müssten sie bereit sein, umzusatteln. Noch können sich viele das nicht vorstellen. Aber die Fischer wissen auch, dass sie die Energiewende nicht aufhalten können.