Die saudische Regierung will die Geschäftsbeziehungen mit Kanada einfrieren. Den kanadischen Botschafter erklärte Saudi-Arabien zur unerwünschten Person. Am Montagabend wurde bekannt, dass die staatliche Fluggesellschaft Saudi Arabian Airlines alle Flüge nach Toronto stoppen will.
Hintergrund ist die Kritik Kanadas an einer neuen Welle von Festnahmen von Frauen und Menschenrechtsaktivisten in Saudi-Arabien. In einem Tweet schrieb die kanadische Aussenministerin, sie sei deswegen ernsthaft besorgt und forderte, die Aktivisten freizulassen.
SRF News: Fredy Gsteiger, weshalb reagiert Saudi-Araberin derart scharf auf diesen Tweet der kanadischen Aussenministerin?
Fredy Gsteiger: Wahrscheinlich, weil Kronprinz Mohammed bin Salman – also der starke Mann in Saudi-Arabien – ganz generell vehement reagiert. Das entspricht seinem Naturell: er ist dünnhäutig und nicht empfänglich für Kritik. Anders als die bisherigen saudischen Könige, inklusive seines Vaters, ist er nicht der nüchtern abwägende Typ. Man hat das mehrfach in der jüngsten Vergangenheit gesehen.
Saudi-Arabien hat etwa die Katar-Krise vom Zaun gebrochen, kurzzeitig den libanesischen Ministerpräsidenten als Geisel genommen, angeblich korrupte Figuren aus Saudi-Arabien als Geiseln in einem Hotel festgehalten, und auch in den Jemen-Krieg hat sich Saudi-Arabien Hals über Kopf gestürzt.
Im Fall mit Kanada könnte hinzukommen, dass die Kritik an den saudischen Menschenrechtsverletzungen von Chrystia Freeland, der Kanadischen Aussenministerin stammte. Also von einer Frau – und von einer Frau lässt sich ein saudischer Potentat ohnehin nichts sagen.
Aber was will denn Saudi-Arabien mit den diplomatischen Massnahmen gegen Kanada erreichen?
Ich denke in erster Linie ist es ein Signal nach innen. Mohammed bin Salman will zeigen, dass er der starke Mann im Land ist und sich nichts bieten lässt. Wahrscheinlich erhofft er sich auch Applaus von konservativen Saudis – und das sind viele.
Gerade weil er im Wirtschaftsbereich gewisse Reformen durchziehen muss, will er vermutlich erst recht zeigen, dass es in anderen Bereichen dieser Reformen keine Trendwende hin zu Liberalisierung des Landes geben wird. Deswegen reagiert er so hart.
Nach aussen will er signalisieren, dass Saudi-Arabien ernst zu nehmen ist. Er hat wahrscheinlich auch Angst vor Einfluss auf die Stabilität des Regimes im Land. Und Saudi-Arabien will auch zeigen, dass es im nahen Osten neben dem Iran noch eine andere wichtige Regionalmacht gibt.
Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern ist nicht gewaltig.
Im Frühling hatte Kanadas Premierminister Trudeau ein Waffengeschäft mit Saudi-Arabien aus dem Jahr 2014 bestätigt. Es geht um den Verkauf von etwa 900 Panzerfahrzeugen an Saudi-Arabien. Wie eng sind die beiden Länder wirtschaftlich miteinander verbunden?
Trotz gelegentlicher Rüstungsgeschäfte sind die Wirtschaftsbeziehungen nicht ausgesprochen eng. Kanada hat ja selber sehr viele Rohstoffe. Auch Öl. Es ist also nicht auf saudisches Öl angewiesen.
Umgekehrt liefert Kanada Industriegüter, nicht zuletzt auch Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien. Saudi-Arabien braucht diese Waffen, auch wegen des Jemen-Krieges. Aber es hat auch andere Lieferenten zur Verfügung. Es könnte diese Waffen durchaus auch anderswo als aus Kanada beziehen. Das gesamte Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern beläuft sich auf drei bis vier Milliarden Dollar, das ist kein gewaltiges Volumen.
Wird der aktuelle Streit einschneidende wirtschaftliche Konsequenzen haben?
Das ist im Moment schwer abzuschätzen. Bisher scheint es so, als ob bestehende Verträge nicht tangiert sind. Es sollen nur keine neuen Geschäfte möglich sein.
Das kann sich allerdings ändern. Eine Verschärfung ist durchaus möglich. Aber im Moment scheinen die menschlichen Konsequenzen gravierender und zwar vor allem für die etwa 5000 saudischen Studenten im Jahr, die an kanadischen Universitäten studieren. Sie alle müssen nun plötzlich ihr Studium dort abbrechen und sich einen anderen Studienplatz suchen.
Potentaten wie Mohammed bin Salman neigen dazu, immer offensiver aufzutreten, wenn ihnen niemand die Stirn bietet.
Handelt es sich hier um ein diplomatisches Scharmützel, das bald wieder vorbei ist, oder bahnt sich eine ernsthafte, lang andauernde Krise an?
Im Moment ist es noch nicht viel mehr als ein diplomatisches Scharmützel. Aber Regime, wie das saudische und Potentaten wie der Kronprinz Mohammed bin Salman neigen dazu, immer offensiver aufzutreten, wenn ihnen niemand die Stirn bietet. Doch Kanada allein kann dies nicht.
Da müssten sich beispielsweise die USA an die Seite der Kanadier stellen. Aber Trump hat bislang schon öfter signalisiert, dass ihm die liberale Trudeau-Regierung in Kanada nicht sehr sympathisch ist. Bisher haben Trump und seine Regierung alles toleriert, was die Saudis getan haben. Und es gibt generell keine westliche Solidarität gegen das saudische Regime. Denn im Wesentlichen hat jedes Land nur seine eigenen Exportgeschäfte im Blick.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.