«Über mich könnt ihr nicht richten – nicht in einer Million Jahren!»: Erst kürzlich versagte Rodrigo Duterte dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) die Autorität, über ihn zu urteilen. Gestern verkündete der philippinische Präsident den Rückzug seines Landes vom ICC. Das Haager Gericht sei nichts weiter als ein politisches Werkzeug.
Der Hintergrund: Im Februar hatte das Gericht vorläufige Ermittlungen wegen Dutertes kompromisslosem Krieg gegen Drogenkriminalität aufgenommen.
Den Rückzug der Philippinen vom ICC begründete Duterte in einem 15-seitigen Statement: «Es scheint ein orchestriertes Vorgehen der UNO-Sonderberichterstatter zu geben. Sie wollen mich als skrupellosen Verbrecher darstellen, der tausende Menschen aussergerichtlich töten lässt.»
Der Rückzug sei kein Schuldeingeständnis, sagte Dutertes Sprecher Harry Roque in Manila. «Wir haben uns zurückgezogen, weil die Anklägerin aus ihrer Entscheidung eine politische gemacht hat», sagte Roque. «Denn sonst hätte sie die Anklage gegen unseren Präsidenten fallenlassen müssen.»
Die Entscheidung markiert eine bemerkenswerte Kehrtwende. In den letzten Monaten hatte Duterte das Gericht mehrfach herausgefordert, ihn anzuklagen. Er sei bereit im Gefängnis zu «verrotten», um seinen Krieg gegen die Drogen zu gewinnen. Er bevorzuge aber ein Erschiessungskommando.
Dutertes Kritiker werteten dessen Kehrtwende als Indiz, dass er im «Panikmodus» sei. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete den Rückzug der Philippinen vom ICC als «feige» und «fehlgeleitet».
Duterte ist dermassen von sich eingenommen, dass er sich von niemandem reinreden lässt. Schon gar nicht von Kritikern aus dem Ausland.
Manfred Rist, der als Korrespondent der «NZZ» über die Philippinen berichtet, bezweifelt allerdings, dass Duterte von Angst getrieben ist: «Er ist dermassen von sich eingenommen, dass er sich von niemandem reinreden lässt. Schon gar nicht von Kritikern aus dem Ausland.»
Der Rückzug vom ICC sei zwar auch eine Trotzreaktion. Es könnte aber auch Kalkül mitschwingen: «Duterte glaubt offenbar, dass er die Ermittlungen damit stoppen kann – und vielleicht hat er damit sogar Recht», sagt Rist. Denn die Ermittler seien auch auf die Kooperation der Justiz und Bevölkerung im Land angewiesen.
Dazu kommt: Der Straftatbestand der «Verbrechen gegen die Menschlichkeit», wie ihn Chefanklägerin des Gerichts erhebt, lässt sich nicht ohne Weiteres nachweisen. Ganz ohne Handhabe sei der ICC, für den Ermittlungen in einem Drogenkrieg ungewohntes Terrain sind, aber nicht: «Die Morde – und man muss von Morden sprechen – fanden unter Missachtung sämtlicher Rechts- und Menschrechtsgrundsätze statt», sagt Rist.
Damit der Straftatbestand erfüllt ist, müssen systematische Angriffe auf die Zivilbevölkerung belegt werden können. «Das ist aus meiner Sicht eindeutig der Fall und sehr gut dokumentiert», sagt Rist: Von Opfern, der katholischen Kirche und von Menschenrechtsorganisationen.
Vor diesen Verbrechen darf man die Augen nicht verschliessen.
Zudem sei das systematische Morden quasi Dutertes politisches Programm, das er nun auch umsetze: «Er hat in Wahlkampfreden und während seiner Präsidentschaft ständig damit gedroht, dass er Drogendelinquenten ‹ausrotten› werde.»
Ungeachtet davon, ob sich Duterte dereinst tatsächlich für seinen brutalen Drogenkrieg verantworten muss: Für den NZZ-Korrespondenten sind die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs auch ein Signal, dass Verbrechen wie auf den Philippinen nicht toleriert werden dürfen: «Tausende Familien sind von den Morden betroffen. Vor diesen Verbrechen darf man die Augen nicht verschliessen.»