Gesprächsthema Nummer eins in den Strassen von Bethlehem ist der brutale Tod der erst 21-jährigen Isra. Er beschäftigt vor allem junge Menschen, auch drei ihrer Freundinnen. «Als ich vor drei Wochen von ihrem Tod hörte, hoffte ich, es sei nicht wahr. So viel Respektlosigkeit und Gewalt ist beängstigend», sagt die 27-Jährige, die ihren Namen nicht nennen will.
Sich mit dem Verlobten zu zeigen, ist ehrenrührig
Ihre Freundinnen stimmen ihr zu. Die 21-jährige Isra arbeitete in einem Schönheitssalon in Bethlehem, sie stammte aus einem Dorf ganz in der Nähe. Auf den sozialen Medien kannte man sie, sie postete zu Schönheit und Mode.
Eines Tages stellte sie ein Video von sich und ihrem Verlobten auf Facebook. Es war nichts Skandalöses, denn der Verlobte hatte ihre Eltern um ihre Hand gebeten, und Isras Schwester war dabei, als sie sich mit ihrem Verlobten filmte.
Offenbar schickte jemand aus der Verwandtschaft das Video an ihren Vater und ihre Brüder. Diese fanden, dass sich Isra vor der Heirat mit ihrem Verlobten zeige, entehre die Familie. Darauf sollen ihre Brüder sie so brutal geschlagen haben, dass ihre Wirbelsäule brach und sie ins Spital musste.
Von dort aus teilte sie Bilder von ihren Verletzungen. Kurz danach tauchten in den sozialen Medien schreckliche Tonaufnahmen auf. Man hört, wie Isra schreit und nach der Polizei ruft.
Warum hat niemand eingegriffen?
Laut Zeugen war ihr Schwager in ihrem Spitalzimmer. Warum niemand Isra zu Hilfe kam oder die Polizei rief, ist unklar.
Isras Familie verbreitete abstruse Geschichten, sie sei von einem Dämonen besessen gewesen, den sie ihr auszutreiben versucht hätten. Doch das glaubt niemand. Für die jungen Frauen in Bethlehem ist klar, dass Isra Opfer eines sogenannten «Ehrenmordes» wurde.
Es dauert lange, bis bekannt wird, dass die Staatsanwaltschaft im Fall Isra entschieden hat, drei Personen wegen Morden anzuklagen. Die drei jungen Palästinenserinnen finden, die Justizbehörden verschleppten den Fall. «Ich habe das Gefühl, sie wollen, dass wir den Fall vergessen», sagte die eine. «Aber wir alle – Verwandte, Nachbarn – müssen einander mehr respektieren», sagt diese 27-Jährige.
Schon 19 Frauen in diesem Jahr getötet
Doch mit der Anklage dreier Personen wegen Mordes gibt sich die Menschenrechtsaktivistin und Anwältin Asala Abu Khadair nicht zufrieden. Alleine in diesem Jahr seien 19 Frauen in Gaza und dem Westjordanland von männlichen Verwandten getötet worden, sagt sie.
Es gibt Studien, die einen Anstieg der Gewalt gegen Frauen in der palästinensischen Gesellschaft dokumentieren. Die Autonomiebehörde müsse veraltete Gesetze ersetzen und Täter viel härter bestrafen, damit keine Frau mehr so sterbe wie Isra, sagt die 32-jährige Anwältin.
Abu Khadair will auch Aufklärung für Kinder an Schulen, nicht nur über sogenannte Ehrenmorde, sondern über Gewalt an sich in palästinensischen Familien im Westjordanland, und, noch dringender, im von Israel und Ägypten abgesperrten Gazastreifen.
Politiker sollen sich klar positionieren
Die Anwältin verlangt von den Politikern, dass sie sich klar gegen Gewalt an Frauen aussprechen und Gewalttaten viel härter bestrafen. Auch sollen sie bedrohte Frauen besser schützen. Es ist ein langer Katalog von Forderungen für eine Regierung, die sich vor allem auf den Unabhängigkeitskampf gegen Israel fokussiert. «Aber jetzt wollen die palästinensischen Frauen nicht mehr schweigen», sagt Abu Khadair.