Jogging-Hose, Sneakers, Baseballcap, die Kapuze des Adidas-Pullovers drüber gezogen: Ein Mann in Schwarz betritt den Raum. Automatisch strecke ich ihm meine Hand hin. Er weist sie zurück – natürlich. Der Mann stellt sich als Karim* vor. Er sieht viel älter aus als die 32 Jahre, die er mir angibt. Verbrauchter, verlebter irgendwie. Karim tigert nervös auf und ab, unterhält sich mit unserem Mittelsmann auf Arabisch.
Derweil flüstert mir mein tunesischer TV-Produzent zu: «Riechst du das?» Ich versuche unauffällig zu schnuppern. Tatsächlich, es liegt eine fast bedrückend schwere Süsse in der Luft. Was das sei, frage ich leise zurück. «Es ist das Parfüm der Dschihadisten.» Eine irritierende Erscheinung, denke ich mir. Ein Schrank von einem Mann, in Gangster-Kleidung, Narben im Gesicht, Narben auf den Händen, schwarze, stechende Augen, unruhig schnaubend von einer moschusähnlichen Süsse umhüllt.
Narben überall
Wir setzen uns auf die zwei für das Interview positionierten Stühle. Die Kamera ist auf Karim's breiten Rücken gerichtet. Er weist uns an, seine Schuhe nicht zu filmen, die könnten ihn verraten. Dasselbe gilt für seine Handrücken. Ich nehme an, der Narben wegen, denn die abgewetzte, weisse Uhr hat er bereits in der Hosentasche verschwinden lassen.
Auch fordert man uns auf, die Smartphones auszuschalten. In Tunesien gehört es noch immer zum Alltag, dass Telefongespräche abgehört werden. Mit dem Ausschalten der Geräte möchte unser lokaler TV-Produzent auf Nummer sicher gehen. Der Dschihadist riskiere einige Jahre Gefängnis, würden die tunesischen Behörden seine Interview-Aussagen und seine Identität zusammenbringen können.
Das erklärt auch seine Kleidung. «Wäre ich in meiner traditionellen Salafistenkleidung gereist, hätte mich die Polizei auf meiner Reise aus meiner Heimatstadt nach Tunis tausend Mal angehalten und kontrolliert», erklärt Karim. Deshalb trage er auch keinen langen Bart.
«Wir Muslime sind ein Körper»
Als alles eingerichtet ist, verlässt unser Mittelsmann den Raum und stellt sich draussen vor die Tür als Wache.
Es braucht keine einzige Frage. Karim beginnt einfach und redet zehn Minuten am Stück durch. Es ist eine leicht überhebliche, prahlerische Rede. Öfters zischt er abschätzig, gestikuliert aggressiv.
Er erzählt, wie er bereits 2003 bis 2005 im Irak für den Al-Kaida gegen die Amerikaner gekämpft hat. Nach seiner Rückkehr verbrachte er vier Jahre im tunesischen Gefängnis, was nichts an seiner Überzeugung änderte. Der 32-Jährige ist ein Dschihadist durch und durch: «Wir Muslime auf der ganzen Welt sind ein einziger Körper. Wenn man Schmerzen am Fuss hat, dann steigt die Temperatur im ganzen Körper.» Karim findet, der Westen solle die Muslime in Ruhe lassen.
Wir Muslime auf der ganzen Welt sind ein einziger Körper. Wenn man Schmerzen am Fuss hat, dann steigt die Temperatur im ganzen Körper.
2013 sei er dann nach Syrien gereist und habe sich der Al-Nusra-Front angeschlossen, einer der Al-Kaida nahestehenden Gruppe. Er behauptet, in der Gegend von Aleppo Kadermitglied gewesen zu sein, zuständig für die Elektrizitätsverteilung und den Aufbau einer Islamschule.
Er habe als erfahrener Dschihadist nicht mehr an der Front gekämpft. Denn kämpfen und mit Waffen hantieren, das sei das einfachste der Welt, das hätte man in zwei Stunden gelernt.
Ich frage, ob er denn auch Erfahrung im Töten habe. Er schnalzt mit der Zunge und antwortet: «Ich habe nicht Erfahrung darin, Menschen zu töten, ich habe Erfahrung darin, mich zu verteidigen.» Dann gibt er einen kurzen, spitzen Lacher von sich.
Vater von vier Kindern
Bis aufs Letzte verteidigt Karim den Dschihad. Zurück nach Tunesien sei er einzig gekommen, um eine Familienfehde zu regeln. Er reiste mit gefälschtem Pass ein, darum haben die Behörden keine Beweise gegen ihn in der Hand. Wohl aber einen Verdacht. Sie erteilten ihm Hausarrest sowie ein Arbeitsverbot.
«Sie wollen mich unter Druck setzten und mir so die Luft abschnüren», beschreibt der Vater von vier Kindern seine Situation. Um das zu untermalen, fasst er sich mit einer raschen, gekonnten Bewegung an die Gurgel und deutet ein Zudrücken an. Die Gestik fährt mir ein. Trotzdem weiss ich nicht, was mich in dem Moment mehr schockiert: dieser gekonnte Griff an die Kehle oder die Information, dass dieser Mann Vater von vier Kindern ist.
Da der 32-Jährige nicht arbeiten darf, hat er Schulden angehäuft. Ein wahrer Dschihadist müsse immer zuerst seine Schulden abzahlen, erst dann dürfe er in den Dschihad ziehen. Sonst wäre er längst wieder in Syrien, behauptet er inbrünstig.
Wenn er mir solche Grundsätze erläutert, lehnt er sich mit seinen Ellenbogen auf die Knie und schaut mir mit seiner Wut auf die Welt bohrend in die Augen.
Frage ich nach, lacht er mich oft besserwisserisch aus. Nicht mich als Person, habe ich das Gefühl, sondern mich als Europäerin, wo man seiner Meinung nach nichts, aber auch gar nichts verstanden hat.
Zwischendurch vibriert es in seinem Adidas-Pullover. Tatsächlich, er hat als einziger sein Handy nicht ausgeschaltet. Er besitzt ein altes kleines Nokia, kein Smartphone, vielleicht deshalb.
Nach dem zweistündigen Gespräch frage ich ihn, ob er sich beeilen müsse, da sein Handy geklingelt habe. «Nein, nein», sagt der Dschihadist, das sei nur seine Frau gewesen, die wissen wolle, wo er stecke.
*Name geändert