Ein Jahr nach dem Amtsantritt des französischen Präsidenten Emmanuel Macron fällt seine innenpolitische Bilanz mehrheitlich positiv aus. Doch wie sind die aussenpolitischen Auftritte und Initiativen zu werten? Aufgefallen ist insbesondere sein Engagement für den Klima-Vertrag und die Ausbaupläne für Europa. Das verdiene Respekt, sagt die französische Politexpertin Cécile Calla.
SRF News: Wie beurteilen Sie Emmanuel Macrons Aussenpolitik auf einer Skala von eins bis sechs?
Cécile Calla: Ich glaube, man kann ihm eine Sechs geben. Zumindest wird er überall in der Welt bewundert für die Initiative, die er gleich nach seiner Wahl ergriffen hat. Es ging um den Klimavertrag, als Donald Trump ankündigte, er werde aus dem Pariser Vertrag aussteigen. Da hat Macron sofort reagiert und deutete Trumps Slogan um: «Make Our Planet Great Again.» Das wurde überall bemerkt. Und damit positionierte er Frankreich als Nation, die sich für die Umwelt einsetzt – obwohl sie an der Atomkraft festhält.
Zum zweiten Mal konnte Macron mit seiner Europa-Rede auftrumpfen. Diese wurde europaweit sehr breit diskutiert, besonders natürlich in Deutschland. Er stellte ein sehr dichtes Reformprogramm für Europa vor für die nächsten fünf bis zehn Jahre.
Macron möchte Europa insgesamt stärken. Einen Schwerpunkt setzt er in der Finanzpolitik beispielsweise mit einem EU-Finanzminister. Wie gross sind seine Erfolgschancen?
Das hängt von den Gesprächen mit Deutschland ab. Ohne Deutschland wird es keine Lösung in Europa geben. Das heisst aber nicht, dass sich Frankreich und Deutschland grundsätzlich nicht einigen könnten. Wichtig ist, dass er ja nicht nur einen EU-Finanzminister vorgeschlagen hat, sondern auch ein Budget und ein Parlament für die Eurozone. Doch die Idee des Parlaments ist schnell wieder fallengelassen worden.
Man bewundert seine rhetorischen Fähigkeiten, seine Jugendlichkeit, seine Energie und seine Entschlossenheit.
Die Idee des Finanzministers und des Budgets für die Eurozone stösst bisher auf viel Skepsis vor allem bei den Deutschen. Man erwartet keinen Big Bang beim Euro-Gipfel im Juni. Doch man erwartet schon eine Einigung zwischen Paris und Berlin.
Sie leben und arbeiten als Journalistin in Berlin. Wie kommt Macron bei der deutschen Bevölkerung an?
Es gibt eine grosse Bewunderung für ihn in Deutschland – eine viel grössere als in Frankreich. Daheim wird er ja als «président des riches», als Präsident der Reichen, kritisiert. In Deutschland ist das kaum ein Thema. Man bewundert seine rhetorischen Fähigkeiten, seine Jugendlichkeit, seine Energie und seine Entschlossenheit.
Doch es gibt auch ambivalente Gefühle in Deutschland: Die Deutschen haben immer Angst, bald noch mehr zahlen zu müssen, wenn die Franzosen neue Reform- und Ausbauvorschläge für Europa machen. Die Deutschen haben Angst vor einer «Transfer»-Union. Für die Deutschen ist es extrem wichtig, dass der Wachstums- und Stabilitätspakt eingehalten wird. Macrons Reformvorschläge zur Eurozone sehen sie sehr skeptisch.
Seine Vorgänger pflegten einen anderen aussenpolitischen Stil: Sein Vor-Vorgänger Nicolas Sarkozy war ein impulsiver Aussenpolitiker, hofierte zuerst Muammar al-Gaddafi – um kurze Zeit später gegen ihn in den Krieg zu ziehen. Macrons Vorgänger François Hollande war ein aussenpolitischer Zauderer. Wie charakterisieren Sie den Aussenpolitiker Emmanuel Macron?
Emmanuel Macron hat verstanden, dass die Franzosen und auch viele weitere Bürger in Europa Sehnsucht nach jemandem haben, der charismatisch aber auch sehr selbstbewusst ist. Und der auch eine gewisse Autorität verkörpert. Diese Sehnsucht erfüllt er auf jeden Fall. Deshalb konnte er auch die konservativen Wähler in Frankreich beruhigen und ihnen gefallen.
Ich glaube aber, dass seine vertikale Art des Regierens nicht so gut ankommt auf europäischer Ebene – gerade in Deutschland. Da ist man skeptisch, wenn die ganze Macht von einem einzigen Mann ausgeübt wird. In Deutschland wünscht man sich, dass die Macht geteilt wird.
Das Gespräch führte Michael Gerber.