Die Plüschkuh mit der gelben Weste ist noch da, hängt an der Bauplane, die vor dem Minibus ein wenig Schutz vor dem nordfranzösischen Nieselregen bietet. Doch es ist nur noch eine Handvoll «irréductibles», unbeugsamer Gelbwesten, die am Verkehrskreisel «Rond-point des Vaches» südlich von Rouen ausharrt.
«Ich bleibe Gilet jaune», sagt Martine trotzig. «Ich habe dieses unglückliche Leben satt, diese Regierung nimmt all unser Geld, beutet uns aus!» Die 58-Jährige lebt von der Rente ihres verstorbenen Mannes – «800 Euro nach 30 Jahren Arbeit!». Sie schraubt die Ölheizung zuhause auf 18 Grad runter, mehr könne sie sich nicht leisten.
Fällt der Name «Macron», bebt Martine vor Wut. Der Präsident ist zur Hassfigur geworden. Seine Reformen, seine Massnahmen, die 15 Milliarden Euro, die er locker gemacht hat, um die gelbe Wut zu besänftigen? «Nur Brosamen, wir haben gar nichts erhalten», poltert Stéphane. Als Sonderpädagoge hangelt er sich von einer befristeten Stelle zur anderen und bangt um die sozialen Errungenschaften. «Mit all diesen Reformen nimmt man bei den Kleinen, während die Ultra-Reichen, die Aktionäre börsenkotierter Unternehmen neue Dividendenrekorde einstreichen!»
Aufstand der Vergessenen
Entzündet hat sich die gelbe Wut vor zwölf Monaten an der geplanten Erhöhung der Abgaben auf Dieseltreibstoffen. Ein paar Cents waren der berühmte Tropfen zu viel für viele Menschen aus den ländlichen Regionen. Aus Orten, wo kein Bus hin- und der TGV nur vorbeifährt, wo man zwar ein Häuschen und Arbeit hat, aber nur knapp über die Runden kommt. Und ohne Auto verloren ist.
Dieses vergessene Frankreich zog sich, um endlich gesehen zu werden, eine gelbe Warnweste über, besetzte Verkehrskreisel und trug den Protest in die Städte. Die Forderung: mehr staatliche Hilfe, weniger Steuern, mehr Mitsprache.
Diskreditiert durch Gewaltexzesse
Die breite Öffentlichkeit identifizierte sich mit den «Gilets jaunes». Zu den besten Zeiten mobilisierte die Bewegung 250'000 Menschen. Doch nicht die friedlichen Samstags-Demonstrationen blieben im Gedächtnis, sondern die Bilder brennender Autos und Bankfilialen, die Selfies vor geplünderten Geschäften.
Angesichts der Krise zückte Präsident Macron schliesslich das Checkbuch, organisierte Bürgerdebatten, gestand Fehler ein. Die Charmeoffensive, und wohl auch die massive Repression durch die Polizei, wirkten, die Proteste flauten ab.
«Das Feuer ist nicht gelöscht»
Für den Soziologen Jean-Pierre Le Goff hat sich aber eigentlich nichts verändert: «Durch die Gewalt, die Drohungen gegen Politiker hat die Bewegung die Unterstützung der Öffentlichkeit verloren. Aber sie ist noch da, das Feuer ist nicht gelöscht. Es mottet weiter.» Denn weder erhielten die Gelbwesten mehr direkte Demokratie, noch änderten sie das politische System.
Macrons Reformeifer ist ungebrochen. Es stehen tiefgreifende Veränderungen beim Rentensystem und der Arbeitslosenversicherung an. Dazu kommt die Misere in Spitälern, beim öffentlichen Verkehr. Die Gewerkschaften riefen für den 5. Dezember zum Generalstreik auf. Ob die Gelbwesten sich anschliessen, ist unklar.