Es war ein böses Erwachen für die Menschen in Myanmar. Bei Tageslicht war klar: Mitten in der Nacht des 1. Februars 2021 hat sich die Armee wieder an die Macht geputscht. Zehn Jahre Öffnung in Myanmar – zerstört.
Es war aber auch ein böses Erwachen für die Militärjunta. Denn bald war klar: Die Generäle unter Armeechef Min Aung Hlaing haben sich getäuscht. Ihr Plan war wohl geradlinig: die Macht übernehmen, die politischen Gegner kaltstellen, dann Pseudo-Wahlen veranstalten. Der Widerstand hat wohl auch sie selbst überrascht.
Die Konfliktlinien verliefen in Myanmar selten so eindeutig wie heute: Da ist das Militär, an der Macht nur durch Waffengewalt. Dort die überwältigende Mehrheit der Menschen im Staat Myanmar, welche in den Männern in Camouflage nur noch Schreckgestalten der Geschichte des 20. Jahrhunderts sehen.
Eine Generation lässt sich die Freiheiten nicht mehr nehmen
Denn Myanmar ist heute ein anderes Land als zur Zeit der Militärcoups von 1962 und 1988. Seit 2011 und mit der Ankunft des Internets ist über zehn Jahre eine Generation junger Menschen herangewachsen, die sich die Freiheiten des modernen Myanmar nicht mehr nehmen lässt. Sofort nach dem Putsch vom 1. Februar sind sie auf die Strasse gegangen. Der Wille, das Regime nicht zu akzeptieren, ist auch nach über 1500 erschossenen Zivilisten immer noch da, oder sogar noch stärker geworden.
Männer und Frauen, die ihren Alltag bisher auf Instagram verbracht haben, kämpfen jetzt mit Kalaschnikows im Dschungel, fliegen selbstgebaute Bomben mit Hobby-Drohnen in Richtung Militärstützpunkte und organisieren Widerstands-Zellen im städtischen Untergrund. Sie führen Guerilla-Attacken auf Konvois und Informanten des Militärs aus. Allein in der Stadt Yangon haben sie seit dem Coup über 100 improvisierte Bomben hochgehen lassen. Die Aktivitäten der im Land verteilten «People’s Defence Forces» fügen dem Militär schmerzhafte Verluste zu. Die Soldaten der Armee antworten mit brutalen Vergeltungsaktionen und brennen ganzen Dörfer nieder. Es ist ein blutiger Kampf.
Demokratisch gewählte Politiker im Untergrund
Unter dem National Unity Government of Myanmar (NUG) haben sich die bei der letzten Wahl demokratisch gewählten Politiker und Politikerinnen im Untergrund organisiert. Sie koordinieren sich mit verschiedenen bewaffneten Rebellenorganisationen, die schon lange gegen das Militär kämpfen. Früher verliefen die Konfliktlinien oft zwischen dem burmesisch dominierten Militär und den ethnischen Minderheiten.
Das hat der Coup geändert. Denn die Armee geht heute mit derselben brutalen Taktik gegen den Widerstand vor wie früher gegen die ethnischen Rebellengruppen. Kurz: Die Demonstrierenden aus den Städten erfahren nun am eigenen Leib, wie es den ethnischen Minderheiten über Jahrzehnte ergangen ist. Dass nun ethnische Bamar Seite an Seite mit ethnischen Karen gegen das Militär kämpfen, hat es noch nie gegeben.
Langfristig sind die Chancen der «Revolution» gut
Der Konflikt wird noch Jahre dauern. Kurzfristig hat das Militär die besseren Karten: Es ist technologisch überlegen, ausgerüstet mit Kriegsgerät aus Russland und China. Dem kann der Widerstand bisher nur wenig entgegensetzen. Doch langfristig sind die Chancen der «Revolution» – so nennen die Kämpfer und Kämpferinnen selbst das, was in Myanmar gerade geschieht – gut. Denn es ist kaum vorstellbar, wie das Militär Myanmar wieder als einen funktionierenden Staat regieren könnte.