Zuletzt prasselte viel Kritik auf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nieder – auch von Vertretern ihrer eigenen Partei, der CDU, und der Schwesterpartei CSU. So forderte CSU-Chef Horst Seehofer eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen.
Merkel wies die Forderung zurück. In der ARD-Talkshow «Anne Will» begründete sie am Mittwochabend ihre Haltung. Mit kurzfristigen Massnahmen könne man die Zahl der ankommenden Flüchtlinge nicht begrenzen, sagte Merkel. «Es gibt den Aufnahmestopp nicht.» Deutschland könne seine 3000 Kilometer lange Landgrenze nicht mit Zäunen versehen.
Selfie kein Fluchtgrund
Wichtiger sei es, die Ursachen für die Flucht zu bekämpfen, so Merkel. Der Vorwurf, sie persönlich sei schuld am Zustrom der vielen Flüchtlinge, sei absurd. «Glauben Sie denn, dass wirklich 100‘000 Menschen ihre Heimat verlassen, weil es ein solches Selfie gibt?», sagte sie mit Bezug auf ein Foto von ihr mit einem syrischen Flüchtling.
Ich glaube, Angela Merkel hat das erste Mal in ihrem Leben etwas ausgesprochen, ohne die Konsequenzen bis zum Ende durchdacht zu haben.
«Ich glaube, Angela Merkel hat das erste Mal in ihrem Leben etwas ausgesprochen, ohne die Konsequenzen bis zum Ende durchdacht zu haben», sagt Jürgen Falter, Politikwissenschaftler an der Universität Mainz. Möglicherweise sei sie von humanitären Vorstellungen geleitet, zu weit gegangen. «Sie hat sich nicht überlegt, dass das Selfie blitzschnell in der Welt verbreitet wird und die Leute im hintersten Winkel des Hindukusch deshalb nach Deutschland aufbrechen. «Und mit Sicherheit habe sie nicht mit den Massen gerechnet, die täglich in Deutschland ankommen.»
Flüchtlinge freundlich empfangen
Deutschland solle den Flüchtlingen weiterhin sein freundliches Gesicht zeigen, forderte Merkel indes weiterhin bei Wills Talkshow. «Deutschland ist ein Land, das die Flüchtlinge freundlich empfängt.» Darauf sei sie stolz. Sie werde sich bestimmt nicht an dem Wettbewerb beteiligen, zu Flüchtlingen möglichst unfreundlich zu sein, damit diese wegbleiben.
Merkel lehnte die Forderung ab, sie solle ein Signal aussenden, dass die Grenze der Aufnahmebereitschaft in Deutschland erreicht sei. Sie versprach aber, sich dafür einzusetzen, dass die Flüchtlinge in Europa gerechter verteilt werden.
Sie hat ihr Schicksal praktisch an die Flüchtlingsfrage gebunden. Wenn das schiefgeht, könnte sie untergehen.
Denn Widerstand gibt es nicht nur aus der Bevölkerung und von anderen Parteien, sondern aus ihren eigenen Reihen. Aber noch habe sie ein grosses Vertrauenspolster, sagt Politologe Falter. Ihr grosser Vorteil sei, dass es innerhalb der CDU niemanden gebe, der ihr den Platz streitig machen könnte. «Aber jetzt hat sie ihr Schicksal praktisch an die Flüchtlingsfrage gebunden, indem sie das zur Kanzlerangelegenheit erklärt hat. Wenn das schiefgeht, könnte sie untergehen», glaubt Falter.
Gegen Türkei in der EU
In der Talkshow kam Merkel auch auf die Türkei zu sprechen, von der sich viele Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland machen und die eine entsprechend grosse Bedeutung für die Flüchtlingspolitik der EU hat. Dennoch sprach sich Merkel gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei aus. «Ich war immer gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei und bin das weiterhin.» Das wisse auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Optimistische Kanzlerin
Deutschland könne die Flüchtlingskrise aus eigener Kraft bewältigen, gab Merkel zu verstehen. Sie dankte den Menschen, die sich engagieren, und lobte die Arbeit der bayrischen Landesregierung, die besonders gefordert sei. Mit dem richtigen Willen könne man sehr viel schaffen, sagte Merkel. Sie habe «den Optimismus und die innere Gewissheit», dass die Aufgabe lösbar sei. Die Deutschen hätten die besten Voraussetzungen dazu. «Wir schaffen das. Davon bin ich ganz fest überzeugt.»