Ein neuer Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zeigt: Im Krieg in der Ukraine werden Streubomben eingesetzt, und zwar von beiden Seiten. Streubomben sind international geächtet, weil sie zu grossem Leid führen. Daniel Suda-Lang erklärt ihre Wirkungsweise.
SRF News: Ist der Krieg in der Ukraine ein Rückschritt im Kampf gegen Streumunition?
Daniel Suda-Lang: Wir sind sehr besorgt und bestürzt, dass in diesem neuen Konflikt wiederum diese Waffen eingesetzt werden. Sie haben einen verheerenden Einfluss auf die Zivilbevölkerung. Wir setzen uns schon seit vielen Jahren dafür ein, dass diese Waffen verboten und geächtet werden. Für uns ist es eine grosse Enttäuschung, dass diese Waffen weiterhin eingesetzt werden. Ich weiss nicht, ob man von einem Rückschritt reden kann. Für uns zeigt das jedenfalls auf, dass unser Engagement weiterhin von Bedeutung ist und dass wir weitermachen müssen.
Bericht zum Einsatz von Streubomben:
Hunderte Zivilpersonen seien bereits an Streubomben in der Ukraine gestorben, bilanziert Human Rights Watch. Was macht Streubomben derart perfide?
Das sind sehr grosse Bomben, die entweder als Raketen abgefeuert werden oder aus einem Flugzeug abgeworfen werden. Und diese sehr grossen Waffen öffnen sich, während sie herunterfallen.
Wenn so eine Bombe abgeworfen wird, wird undifferenziert alles zerstört.
Wenn sie sich öffnen, kommen viele Dutzende oder sogar 100 kleinere Bomben raus. Die nennt man Bomblets. Die verteilen sich grossflächig. Wenn so eine Bombe abgeworfen wird, wird undifferenziert alles zerstört, und zwar auf der Fläche eines Fussballfeldes. Ein anderes Problem ist, dass ein grosser Teil dieser Bomblets nicht sofort explodiert. Sie bleiben Jahre oder sogar Jahrzehnte liegen. Wenn der Konflikt vorbei ist, wird es für die Zivilbevölkerung damit schwierig, in die Städte zurückzukehren.
Es gibt seit 2010 ein internationales Abkommen gegen Streubomben. 110 Länder haben es unterzeichnet. Aber gerade Russland und die Ukraine haben es nicht unterzeichnet. Wie wirkungsvoll ist dieses Abkommen also in der Realität?
Das ist immer das Problem mit internationalen Abkommen. Wir kennen das bereits vom Verbot von Antipersonenminen. Diesen Vertrag haben etwa 160 Länder unterschrieben, aber nicht die kriegsführenden Länder wie Russland, China, USA usw.
Die Osloer Konvention verbietet Streubomben. Sie wurde von 110 Staaten unterschrieben, aber nicht von den kriegsführenden Ländern.
Die gleiche Problematik haben wir auch mit der Osloer Konvention, die Streubomben verbietet. Sie wurde von 110 Staaten unterzeichnet, aber auch nicht von den kriegsführenden Nationen. Aber wir sollten alle Staaten dabei haben. Wir erhoffen uns, dass ein gewisser Druck auf die nicht unterzeichnenden Staaten entsteht, wenn sie sehen, dass ein Grossteil der Staaten unterzeichnet.
Das Ziel ist, dass weltweit niemand mehr Streubomben einsetzt, nicht nur die 110 Unterzeichnerstaaten des Abkommens. Wie wollen Sie denn den Rest der Welt, also auch Russland und die Ukraine, dazu bringen, das Abkommen noch zu unterzeichnen?
Das ist ein langer Weg und eine schwierige Aufgabe. Wir stehen im Moment nicht in Kontakt mit diesen Ländern. Wir haben Ableger in vielen verschiedenen Ländern und sind in 16 Ländern aktiv, nicht unbedingt auf politischer Ebene, sondern vor allem im direkten Kontakt mit den Opfern. Wir haben Unterstützungsprogramme. Im aktuellen Kontext ist es quasi unmöglich, solche Diskussionen zu führen. Aber wir denken, dass es auch wieder Zeiten geben wird, in denen es möglich sein wird, alle Staaten rund um den Tisch zu haben, zum Beispiel bei der UNO. Dann können solche Anliegen angegangen werden.
Das Gespräch führte Sandro Della Torre.