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Eklat in der AfD Nicht nur ein Scharfmacher geht, sondern mit ihm wohl auch Wähler

«Freiheit und Demokratie sind universelle Werte, die hat niemand für sich gepachtet», sagte Andreas Kalbitz im letzen August, als er in Brandenburg für die AfD auf Wahlkampftour war. Damals hatte der «Spiegel» gerade über schmutzige Details aus seiner Vergangenheit berichtet – Fragen zu diesem Thema verbat er sich vor unserem Interview.

Ganz oben in der Provinzliga

Der «Spiegel» schrieb über eine Ferienreise der neonazistischen «Heimattreuen Deutschen Jugend» HDJ in den 1990ern, über eine Naziflagge am Hotelbalkon, und über Andreas Kalbitz, der dabei gewesen war. Er sei nur aus Neugier mitgefahren und kein Mitglied der HDJ gewesen, behauptete er.

Die Strategie ging auf, denn Kalbitz brachte Erfolge. In seinem Bundesland Brandenburg bescherte er der AfD ein phantastisches Wahlresultat. Kalbitz hatte mit seiner reaktionären Selbstinszenierung als «Vollender der Wende» einen Nerv getroffen. Zwar blieb die SPD stärkste Kraft, doch die Regierungspartei wurde blamiert und schien gebrochen. Kalbitz spielte sich in der Provinzliga ganz nach oben.

Doch am Parteitag in Braunschweig im November gab der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen eine neue Linie vor: Die chatoische «Findungsphase» sei vorbei, die Partei müsse regierungswillig und regierungsfähig werden.

Rechter «Flügel» gestutzt

Eine zentrale Rolle spielte die «Unvereinbarkeitsliste». Die Partei war gespalten in der Frage, ob AfD-Mitglieder, die nachweislich zu einer neonazistischen Vereinigung gehören oder gehörten, aus der Partei ausgeschlossen werden sollten. Vielen war wohl klar, dass ein solcher Automatismus Probleme geben dürfte in einer Partei, der es ohnehin an Personal mangelt. Doch für Andreas Kalbitz wurde es enger.

Jetzt hat ihn die Partei rausgeworfen. Sie habe es als erwiesen angesehen, dass Andreas Kalbitz Mitglied der HDJ und der rechtsextremen «Republikaner» gewesen war, ohne dies pflichtgemäss angemeldet zu haben. Bereits im März hatte die AfD den rechten «Flügel» in der Partei zurechtgestutzt – formal musste sich dieser auflösen – und damit deren Ikone und Thüringens Landes-Chef Björn Höcke in die Schranken gewiesen.

Alice Weidel soll Kalbitz unterstützt haben im Bundes-Parteivorstand, der über den Ausschluss abstimmte und dessen Mitglied Kalbitz bis dato war. Auch Tino Chrupalla, Malermeister aus Sachsen und neben Meuthen der zweite Co-Vorsitzende der Partei, gab Kalbitz wohl seine Stimme. Am Ende stand es fünf zu sieben gegen Kalbitz.

Problem für die AfD gelöst?

Meuthen ist ein politischer Stratege, kühl kalkulierend, messerscharf in seinen Formulierungen, niemals über die entscheidende Grenze des juristisch sagbaren hinausgehend. Und Kalbitz mit seiner braunen Vergangenheit und den möglicherweise andauernden Beziehungen in die rechte Szene wurde zur unberechenbaren Hypothek. Problem gelöst.

Es fragt sich nur, wie leicht man jemanden wie Andreas Kalbitz los wird. Er selbst sieht den Ausschluss als «politischen Fehlentscheid» und will mit allen juristischen Mitteln dagegen vorgehen. Kalbitz vertritt einen nicht unerheblichen Teil der AfD-Stammwähler, manche sehen deshalb bereits die Spaltung der Partei vorher.

Es fragt sich tatsächlich, ob die AfD ohne ihren rechten Rand so stark bleibt, wie sie es zuletzt war – oder doch endlich das Prädikat «bürgerlich» erhält, das sie sich so sehnlichst wünscht.

Bettina Ramseier

Deutschland-Korrespondentin, SRF

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Bettina Ramseier ist SRF-Korrespondentin in Berlin. Sie ist seit 15 Jahren TV-Journalistin: Zuerst bei TeleZüri, danach als Wirtschaftsredaktorin bei SRF für «ECO», die «Tagesschau» und «10vor10».

SRF 4 News, 15.05.2020, 18.00 Uhr

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