Die Medienkonferenz von EU-Kommissar Johannes Hahn zum Verhältnis mit der Schweiz war ganz besonders an Bundesrat Ignazio Cassis gerichtet. Hahn bezichtigte Cassis – in freundliche Worte verpackt – der Falschdarstellung.
Am 7. Dezember hatte Cassis die Schweizer Öffentlichkeit über den Stand der Verhandlungen bezüglich des Rahmenabkommens informiert. Der Bundesrat und die EU-Kommission hätten sich nur teilweise auf den Text des Rahmenabkommens einigen können, sagte Cassis damals.
Insbesondere in zwei wichtigen Fragen gebe es nach wie vor Differenzen: beim Lohnschutz und bei der Unionsbürgerrichtlinie, die zum Beispiel das Aufenthaltsrecht von EU-Bürgern regelt. Zu diesen beiden Fragen liege ein Verhandlungsangebot der EU vor, das der Bundesrat nicht gutheisse.
Unterschiedliche Wahrnehmungen
«Ich gestehe, dass ich da eine andere Wahrnehmung habe als mein Freund Ignazio», sagt Hahn dem SRF. «In meiner Wahrnehmung, und die wird auch geteilt von den anwesenden Mitarbeitern, haben wir uns auf einen Text verständigt.» Das Rahmenabkommen sei zwischen ihm und Cassis vereinbart worden, es handle sich um einen «endgültigen und gemeinsamen Text».
Da sich der Gesamtbundesrat aber nicht zu diesem Text bekannt hat, will die EU-Kommission die Börsenanerkennung nur um sechs Monate verlängern. Bis Ende Juni erwartet die EU-Kommission, was sie eigentlich bereits jetzt erwartet hatte: Dass der Bundesrat das Rahmenabkommen dem Schweizer Parlament zur Annahme empfiehlt.
Keine neuen Abkommen mit der EU
Mit der Börsenanerkennung bestraft die EU-Kommission die Schweiz in einem Bereich, der aus Sicht des Bundesrats nichts mit dem Rahmenabkommen zu tun hat. Der Entscheid, die Anerkennung der Börse nur befristet zu verlängern, diskriminiere die Schweiz gegenüber Ländern wie den USA oder Australien. Diesen hatte die EU die Börsenanerkennung ohne Rahmenabkommen erteilt.
Bis ein Entscheid zum Rahmenabkommen vorliegt, will die EU-Kommission zudem mit der Schweiz keine neuen Marktzugangsabkommen abschliessen, zum Beispiel kein Stromabkommen. Und die bestehenden Marktzugangsabkommen sollen nicht aufdatiert werden.
Das beträfe zum Beispiel das bilaterale Abkommen über die technischen Handelshemmnisse. Es erleichtert verschiedenen Schweizer Branchen die Ausfuhr von Gütern in die EU. Ohne Aufdatierung drohen diese Erleichterungen wegzufallen.
Dann wird die Welt auch nicht zusammenbrechen.
Nicht das «Ende der Welt»
Doch auch Johannes Hahn weiss: In der Schweiz gibt es grossen innenpolitischen Widerstand gegen das Rahmenabkommen. Eine Einigung scheint unwahrscheinlicher denn je.
Zurückhaltend antwortet Hahn auf die Frage, ob die EU zum grossen Eklat mit der Schweiz bereit sei, wenn das Rahmenabkommen endgültig beerdigt wird. «Dann wird, wie ich das mit Bundesrat Cassis wiederholt besprochen habe, die Welt auch nicht zusammenbrechen.»
Denn auch Hahn weiss: Die EU-Staaten stehen zwar hinter der Verhandlungsposition der EU-Kommission in Brüssel. Doch einen regelrechten Wirtschaftskrieg mit der Schweiz – dem drittwichtigsten Handelspartner der EU – würden EU-Länder wie Deutschland nicht ohne Weiteres riskieren wollen.