Atomkraft als der Stolz eines Landes? In Finnland ist das real – zumindest wenn man den Betreibern der AKW von Olkiluoto glaubt. Für sie sind die drei Atommeiler mit ihrer roten Farbe – wie das lokale Granitgestein – nicht nur die schönsten Industriegebäude. Der jüngste Reaktor «Olkiluoto 3» sei schlicht das «grösste und modernste» AKW Europas.
«Der Reaktor ist wichtig für Finnland», sagt Juha Poikola, PR-Chef der Betreibergesellschaft TVO. Der erste EPR-Reaktor Europas decke 14 Prozent des finnischen Elektrizitätsverbrauchs und habe viel verändert, seit er vor zwei Jahren ans Netz gegangen sei: «Zuvor haben wir in Finnland viel Strom importiert, nun haben wir quasi Selbstversorgung. Unsere Energiesicherheit ist heute viel grösser, der Strom günstiger.»
Besser als eine Abhängigkeit von Russland…
Stolz ist man auch auf die breite Unterstützung der Atomkraft in der Bevölkerung. Zwar sank auch in Finnland die Akzeptanz der Atomenergie nach der Katastrophe von Fukushima – jedoch nur vorübergehend und auf hohem Niveau.
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine erreichte sie 2023 laut der Branchenorganisation Finnish Energy gar einen Rekordwert von 68 Prozent Zustimmung. Das zeigt, dass viele die Atomkraft als Garant für die Unabhängigkeit vom Nachbarn Russland sehen.
…weniger gefährlich als der Klimawandel
Unterstützung für die Kernenergie kommt auch von unerwarteter Seite – den finnischen Grünen. Parlamentarier Atte Harjanne war treibende Kraft hinter der Neupositionierung der Partei 2022.
«Unsere Opposition gegen die Atomkraft war schon immer pragmatisch und nicht so dogmatisch», sagt er. Man müsse das Ganze wissenschaftlich analysieren und abwägen. Am Ende helfe die Atomenergie – in Kombination mit erneuerbaren Energien – dem Klimaschutz, der Umwelt und der Biodiversität: «Das Hauptziel ist es, alle fossilen Brennstoffe und Emissionen loszuwerden. Wir brauchen sauberen Strom und saubere Wärme, mit so wenig Ressourcen und Landverbrauch wie möglich.»
Alles nur Marketing und Lobbying?
Darüber schüttelt Jari Natunen den Kopf. Für den Biochemiker und Atomkritiker ist die breite Unterstützung der Atomenergie das Resultat von viel Marketing und Lobbying einer mächtigen Industrie. «Wenn man schon alles abwägen will, dann muss man den gesamten Lebenszyklus betrachten.» Das bereits gebaute finnische Atom-Endlager ist aus seiner Sicht zu wenig sicher.
Und: «Es bleiben Probleme bei der Uran-Gewinnung in Minen.» Damit meint er die Folgen des Abbaus für die Umwelt – aber auch die Notwendigkeit, das Uran zu importieren. Die Energie-Unabhängigkeit sei eine Illusion. Kostenverschlingende Riesenreaktoren wie «Olkiluoto 3» seien schlicht «Dinosaurier» aus einem anderen Technologiezeitalter.
Atom-Wissen als Exportgut?
Offiziell aber gilt die Atomenergie in Finnland als grün. Und die nächste Reaktoren-Generation steht in den Startlöchern: So gibt es bereits Versuche mit kleineren, modularen Werken, und in Helsinki soll künftig sogar ein neuartiges, unterirdisches AKW die Stadt mit Fernwärme versorgen.
Das Vertrauen der Bevölkerung in die Behörden ist gross, das zeigen internationale Studien. Die Betreiber sind überzeugt: Selbst die vielen Verzögerungen beim Bau von «Olkiluoto 3» hätten der Glaubwürdigkeit der Atomkraft nicht etwa geschadet – sondern gezeigt, dass die Atomaufsichtsbehörde STUK eben genau hinschaue.