Polen hat noch kein Atomkraftwerk. Seit Jahrzehnten plant das Land eines oder mehrere, einmal hat man sogar angefangen zu bauen, aber ein fertiges Werk ist nie entstanden. Jetzt aber ist der Wunsch nach einem AKW ungleich drängender geworden: Heute kommen 70 Prozent des polnischen Stroms aus Kohle. Das muss sich ändern, denn Kohleverbrennung produziert viel CO2. Und die Europäische Union will wegen des Klimas weniger CO2 in die Luft pusten – Polen ist EU-Mitglied und hat Ja gesagt zu diesem Vorsatz. Also braucht das Land schnell viel mehr «grünen» Strom.
Agnieszka Spirydowicz steht neben den surrenden Transformatoren, den Umwandlern – sie wünscht sich ein Polen mit neuen Stromquellen. «Hier sammeln wir den Sonnenstrom aus der ganzen Gegend», sagt sie. Spirydowicz arbeitet für ein Unternehmen, das eine der grössten Solarfarmen Polens gebaut hat, Strom für 30'000 Haushalte. Und zwar neben einer der grössten Kohleminen. Dort klafft der Schlund der Turów-Mine, hier glänzen Solarzellen auf den Feldern, bis fast zum Horizont. Im westlichsten Zipfel des Landes.
Solarstrom holt auf
«Hier ist Deutschland, dort ist Tschechien», sagt Agnieszka Spirydowicz. Und beim Sonnenstrom holt Polen gerade Deutschland ein: Das Land ist heute der viertgrösste Markt Europas, gleich hinter dem grossen Nachbarn. Die polnische Regierung gibt viel Geld für Sonnenstrom aus. Gut für alle sei das, sagt Albert Gryszczuk, der Chef des Unternehmens für Sonnenstromfelder.
Dank seiner Solarzellen verdiene hier nicht mehr nur das riesige Staatsunternehmen Geld, dem die Kohlemine gehört. Die Bauern bekämen für das Land, das sie verpachten – schlechtes Land – 2000 Euro pro Jahr, ohne etwas tun zu müssen. Und die Firmen der Gegend könnten Werbung machen mit dem grünen Strom, er werde sogar neue anziehen.
Ganz so rosig – oder eher: grün –, wie das jetzt klingt, ist es aber nicht in Polen. Insgesamt sind bloss zehn Prozent des polnischen Stroms grün – wenig, wenn man bedenkt, dass das Land bis 2050 von der Kohle weg will. Und das Netz, das den Sonnenstrom zu den Leuten bringt, mussten Private bauen, weil es zu lange gedauert hätte, auf den Staat zu warten.
Vernachlässigung
Jahrzehntelanges Nichtstun sei das Problem Polens, sagt Jakub Wiech, einer der pointiertesten Fachleute für Energie, in seinem Warschauer Büro. «So ist es sehr seltsam, dass ein Land mit einer so langen Küste wie Polen noch keine Windfarmen hat in der Ostsee.» Jetzt hat man zwar auch mit dem Planen von Windfarmen angefangen und hofft, dass in 30 Jahren 60 Prozent des polnischen Stroms aus den Farmen vor der Küste kommen. Aber es steht noch keine einzige Turbine, es wird noch ein paar Jahre dauern, bis die erste beginnt, sich zu drehen.
Wer verstehen will, warum sich Polen erst jetzt für grünen Strom interessiert, muss den wütenden Mineuren zuhören, die in Warschau demonstrieren, deren Vuvuzelas schrecklich laut dröhnen. «Wir sind nicht dumm», sagt einer, «wir wissen, dass die Welt immer weniger abhängig ist von Kohle. Aber gerecht wäre es, wenn die Bergwerke erst dann schliessen würden, wenn wir die Kohle aufgebraucht haben.»
Kohle lohnt sich nicht mehr
Es gibt viele Bergleute – und sie sind gut organisiert, sie sind laut. Die polnische Regierung muss Rücksicht nehmen auf sie. Trotzdem werde der Kohlestrom verschwinden in den nächsten Jahren, sagt Energiefachmann Jakub Wiech. «Weil er sich finanziell nicht mehr lohnt. Kohle wird zu teuer.» Wer Kohle in Strom verwandelt, muss nämlich für das CO2 bezahlen – und das wird laufend teurer.
Sonne und Wind reichen nicht, um die Kohle zu ersetzen. Deshalb will Polen Atomkraftwerke bauen, das erste soll an der Ostseeküste stehen, das hat das Land gerade erst entschieden. «2033 sollen wir unser erstes AKW haben», sagt Energiefachmann Wiech. «Das wird aber nicht klappen.» Der polnische Staat könne nämlich nicht umgehen mit langfristigen Vorhaben. Heute hat der Staat noch nicht einmal Land für das erste AKW gekauft, alle Entscheidungen verzögern sich immer wieder.
Wenn die EU AKW jetzt zur grünen Technologie erklärt und mehr Geld in die Atomkraft fliesst, könnte das Polen helfen. Wenn nicht, glaubt Jakub Wiech, werde das Land bald abhängig sein von ausländischen Kraftwerken. Dabei sind Gaskraftwerke genau deshalb keine Option für Polen: Man will nicht von russischem Gas abhängig sein.