Während Tagen hatte David Cameron geradezu trotzig erklärt, die Briefkastenfirma seines verstorbenen Vaters sei reine Privatsache. Gestern räumte der britische Premierminister ein: Seine Ehefrau und er hatten 1997 Anteile am Fonds seines Vaters erworben und diese dann 2010 – unmittelbar vor Camerons Ernennung zum Premierminister – gewinnbringend verkauft.
Dass der reuige und geständige Cameron die britische Morgenpresse dominiert, versteht sich von selbst. «Also doch», so der Grundtenor in den Medien, wie SRF-Grossbritannien-Korrespondent Martin Alioth berichtet.
Laut Cameron wurden zwar alle fälligen Steuern bezahlt, nichts Illegales soll geschehen sein. Und dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack: «Wenn das alles so harmlos ist, wie Cameron jetzt sagt, stellt sich doch die Frage, warum er nicht bereits am Dienstag mit der vollen Wahrheit rausrückte», sagt Alioth. Im Kern gehe es also um die Glaub- und Vertrauenswürdigkeit des Premiers, «um die es bisher gut bestellt war».
Der weisse Ritter – mit der nicht ganz so weissen Weste
Bisher. Denn auch wenn im Königreich wohl kaum jemand glaubt, dass der 49-jährige Tory-Chef tatsächlich Steuern hinterzogen hat: Die jüngste Entwicklung passt so gar nicht zum Bild, das sich Cameron in der Vergangenheit zu verpassen suchte. «Jahrelang hat er sich als weisser Ritter, als Vorkämpfer gegen Steuerhinterziehung und Steuerflucht aufgespielt», so Alioth.
2013 intervenierte Cameron gar persönlich, um zu verhindern, dass die EU nicht bloss Briefkastenfirmen, sondern auch Stiftungen zur Offenlegung ihrer wahren Eigentümer zwingen könnte. «All seine Beteuerungen, den globalen Kampf gegen die Steuerflucht anzuführen, wirken nun etwas angekratzt.»
Für Camerons politsche Gegner natürlich ein gefundenes Fressen. So mokierte sich auch der stellvertretende Vorsitzende der Labour-Partei Tom Watson darüber, wie der Premier mehrfach lautstark ein «Zeitalter der Transparenz» angekündigt, sich selbst aber offenbar nicht daran gehalten hatte.
Die Vertrauensfrage
Dabei ist es gerade diese Glaubwürdigkeit, die Cameron im Moment auf keinen Fall verspielen will. Am 23. Juni entscheiden die Briten in einem Referendum darüber, ob ihr Land in der Europäischen Union bleiben oder austreten soll. Das Ergebnis dürfte äusserst knapp ausfallen. Befürworter wie Gegner des sogenannten Brexits buhlen um jede Stimme.
«Die Enthüllung kommt zu einem denkbar blöden Zeitpunkt für die Pro-EU-Kampagne, deren Gallionsfigur David Cameron ist», erklärt Alioth. Schliesslich argumentiere Cameron immer, in den vergangenen sechs Jahren als Premier sei er zum Schluss gekommen, dass ein Verbleib in der EU die beste Option für das Vereinigte Königreich darstelle. «Er appelliert demnach an das Vetrauen der Wähler in sein Urteilsvermögen», so Alioth. «Dass nun die Verrenkungen der letzten Tage Fragen bezüglich seines Urteilsvermögen aufwerfen, liegt auf der Hand.»
Keine Rücktrittsforderungen
Auf die heiss umkämpfte Brexit-Abstimmung Ende Juni könnte die Offshore-Affäre also durchaus Auswirkungen haben, auf Camerons politische Zukunft hingegen kaum. Ernst zu nehmende Rücktrittsforderungen gab es bisher nicht. Diese sind wohl auch unnötig.
Schliesslich steht fest, dass Cameron im Jahr 2020 sowieso nicht mehr für den Posten des Premiers kandidieren wird. Kommt hinzu: Sollten sich die Briten in wenigen Wochen tatsächlich gegen die EU-Mitgliedschaft aussprechen, wird er das Amt laut Beobachtern notgedrungen abgeben müssen – auch wenn er das im Moment noch vehement bestreitet.