Offiziell ging es am heutigen ausserordentlichen Ministertreffen der OSZE um Migration, Menschenrechte und Terrorismus. Inoffiziell geht es aber um die OSZE selber – und zwar um die tiefe Vertrauenskrise innerhalb der Organisation.
Als Folge der Krise wurde auch die Neubesetzung des Chefpostens monatelang verschleppt. Favorit ist seit Monaten der Schweizer Thomas Greminger. Er dürfte morgen mit langer Verzögerung tatsächlich zum Generalsekretär gewählt werden.
Greminger wird damit Nachfolger von Lamberto Zannier. Sechs Jahre lang war dieser Generalsekretär der OSZE. Seine Amtszeit lief bereits Anfang Juli ab.
Doch auch weitere Spitzenposten sind schon seit längerem verwaist. Jener des Direktors für Menschenrechte, der des Hochkommissars für Minderheit und auch der des Beauftragten für Medienfreiheit; allesamt politisch sensible Ämter.
Fehlender Konsens lähmt die Organisation
Zannier räumt ein: «Postenbesetzungen sind schwierig geworden.» Sie müssen im Konsens erfolgen. Doch dieser Konsens fehlt zurzeit meistens. Der Streit geht allerdings weit über Personalfragen hinaus. Er erschwert es der OSZE, die 57 Mitglieder zählt und damit grösser ist als die Arabische Liga oder die Afrikanische Union, und die von Wladiwostok bis Vancouver reicht, ihre Aufgaben zu erfüllen.
Die Vertrauenskrise innerhalb der Organisation ist heute sogar grösser als zur Zeit des Kalten Krieges.
«Die Vertrauenskrise ist heute sogar grösser als zur Zeit des Kalten Krieges», findet der 63-jährige Italiener. «Damals hat man hart und zäh diskutiert, aber sich am Ende zu gemeinsamen Lösungen in den Bereichen Sicherheit, Wirtschaft und Menschenrechte zusammengerauft. Heute hingegen erlebe ich oft einen Dialog der Tauben. Ich wünsche mir, man würde an den damaligen Geist anknüpfen.»
Unsichtbare OSZE ist eine erfolgreiche OSZE
Bei sehr vielen Schlüsselthemen, etwa der Ukraine-Krise, sieht Zannier keine Fortschritte, keine gemeinsamen Ziele. Der alte und neue Ost-West-Konflikt lähme vieles, was möglich und nötig wäre. Er ist überzeugt: «Die OSZE könnte viel mehr bringen, wenn man ihre Möglichkeiten tatsächlich nützen würde. Punkto Abrüstung, punkto Cyber-Sicherheit, punkto Durchsetzung der Menschenrechte.»
Die Organisation könnte viel mehr bringen, wenn man ihre Möglichkeiten tatsächlich nützen würde.
Zwar ist die OSZE seit Ausbruch des Ukraine-Konflikts wieder deutlich sichtbarer geworden. Doch das sei «eigentlich kein gutes Zeichen», so Zannier. «Denn sichtbar wird sie meistens in Krisenzeiten. Am erfolgreichsten ist die Organisation, wenn man sie weniger wahrnimmt, weil sie dann nämlich Konflikte verhindert.»
Zankäpfel Osterweiterung und Menschenrechte
Die Spaltung der Organisation äussert sich hauptsächlich in zwei Bereichen: Zum einen beim Thema Sicherheit. Russland fühlt sich durch die Nato-Osterweiterung bedrängt und eingeschnürt. Der Westen wiederum fürchtet russische Übergriffe auf europäische Länder und eine russische Unterwanderung. Die OSZE wäre an sich der ideale Ort, um Vertrauen zu schaffen und sich anzunähern, so Zannier.
«Moskau scheint nicht abgeneigt, die Organisation sicherheitspolitisch aufzuwerten.» Doch die USA sind kaum interessiert. Was sich auch daran zeigt, dass Aussenminister Rex Tillerson dem heutigen Ministertreffen fernblieb.
Am erfolgreichsten ist die OSZE, wenn man sie weniger wahrnimmt, weil sie Konflikte verhindert.
Zum anderen das Thema Menschenrechte: Hier zeigten sich Russland, aber auch die Türkei bockig, so Zannier. «Zwar stellen sie die Menschenrechte nicht grundsätzlich in Frage, praktisch aber schon. Nicht nur, aber nicht zuletzt, wenn es um Medienfreiheit oder um die Rechte von Homo- oder Transsexuellen geht.»
Die Konsequenz ist: Auf beiden Feldern kommt man keinen Schritt voran. Zwar hängt Zannier nicht der Illusion an, die OSZE selber sei bereits die Lösung. «Aber sie wäre die ideale Plattform, um über Lösungen zu reden. Denn in ihr sind die relevanten und derzeit zerstrittenen Akteure vertreten.» Es bräuchte also ein neues Denken, Reformen. Bloss den Willen dafür sieht der bisherige OSZE-Chef nicht. Der Schweizer Diplomat Thomas Greminger, der die Organisation seit langem bestens kennt und nun führen soll, steht also vor einer Herkulesaufgabe.