In Istanbul beginnt der Tag mit einer Schockstarre, nachdem die Nachricht die Runde gemacht hatte, dass Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu in Polizeigewahrsam ist.
Putsch-Gerücht macht die Runde
Die Präsenz von Sicherheitskräften in der Stadt ist verstärkt. Die Behörden haben ein 4-tägiges Verbot für öffentliche Demonstrationen verhängt.
So schreibt die Gouverneursverwaltung der 18-Millionen-Stadt: «Jede Art von Treffen, Demonstrationen und Medienkonferenzen werden bis zum 23. März untersagt, um die öffentliche Ordnung in der Provinz zu gewährleisten und jede Art von Provokationen zu verhindern.» Auch die Metro-Station am zentralen Taksim-Platz wurde bis auf Weiteres geschlossen.
Schon macht das Gerücht von einem Putsch die Runde. Dieses Wort wird auf den sozialen Medien immer wieder geteilt – auch von Oppositionspolitikern. Gleichzeitig heisst es, der Zugriff auf die verschiedenen Internetdienste sei eingeschränkt – wie so oft in der Vergangenheit, wenn die Sicherheitsbehörden zur «Sicherung der öffentlichen Ordnung» das Internet beschränken.
Dennoch lässt sich die CHP, die sozialdemokratische Partei von Ekrem Imamoglu, nicht einschüchtern. Für den Nachmittag ruft sie ihre Mitglieder zu spontanen Kundgebungen vor den verschiedenen Parteibüros in Istanbul auf.
Ermittlungen gegen 100 Personen
Imamoglu sollte eigentlich in wenigen Tagen zum Präsidentschaftskandidaten seiner Partei ernannt werden und damit zum direkten Konkurrenten von Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Für diese Kandidatur ist in der Türkei ein Universitätsabschluss notwendig. Dieser wurde ihm aber gestern von der Istanbuler Universität aberkannt, wegen angeblicher Plagiatsvorwürfe. Dagegen wollte der Oberbürgermeister innert Frist Einspruch einlegen.
Dass er heute in Polizeigewahrsam kam, wird mit der Anklage wegen der Führung einer kriminellen Organisation und Korruption begründet. Neben Ekrem Imamoglu wird noch gegen weitere 100 Personen ermittelt. Ihnen wird vorgeworfen, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützt zu haben.
Deren Gründer und Anführer Abdullah Öcalan hat gerade erst Ende Februar zur Auflösung eben dieser Organisation aufgerufen – als Teil eines politischen Versöhnungsprozesses, den die Regierungskoalition um Präsident Erdogan angestossen hatte.
Vorwürfe ergeben wenig Sinn
So betrachtet machen die Vorwürfe gegen Imamoglu wenig Sinn und können nur als Mittel zum Zweck interpretiert werden, um einen politisch gefährlichen Gegner mit juristischen Mitteln auszuschalten.
Richtig ist, dass bei den Kommunalwahlen im letzten Jahr die sozialdemokratische CHP mit der prokurdischen Partei DEM koaliert hatte. Trotzdem oder gerade deshalb ist die türkische Justiz immer wieder gegen kurdische Politikerinnen und Politiker vorgegangen und hat in der Osttürkei Städte und Gemeinden, die von der prokurdischen Partei regiert wurden, unter Zwangsverwaltung gestellt.