Roxana Marin ist froh, ein Zuhause für ihre drei Kinder zu haben. Notdürftig hat die Familie sich in den Räumen einer alten Fabrik eingerichtet in Buenos Aires eingerichtet. Doch das Gebäude wurde versteigert, ein Richter hat den Räumungsbefehl bereits unterzeichnet.
Die Altenpflegerin verlor vor anderthalb Jahren ihre Anstellung. Ihr Mann arbeitet schwarz in einer Textilfabrik: «Sie wollen ihn nicht anstellen, weil die Situation so ungewiss ist. Wenn wir hier rausmüssen, schlafen wir mit den Kindern auf der Strasse, so wie immer mehr andere Leute das auch machen.»
An der Hauswand hängen Dutzende von Fotos. Sie sollen allen, die auf dem Trottoir vorbeilaufen zeigen: All diese Kinder könnten bald ihr Zuhause verlieren. 100 Familien wohnen in der ehemaligen Fabrik. Immer mehr Menschen in Argentinien fehlt das Geld für das Allernötigste: genug zu essen und ein Dach über dem Kopf.
15 Millionen haben nicht genug zu essen
Eigentlich hatte Präsident Mauricio Macri auf eine Wiederwahl am 27. Oktober gehofft. Doch die Voraussetzungen dafür sind denkbar schlecht. «Macrisis» nennen viele Argentinier die derzeitige Krise, für die sie Macri verantwortlich machen.
Schätzungsweise 15 der 40 Millionen Argentinier haben nicht mehr genug zu essen. Und so bleibt vielen nur noch eine Option für eine warme Mahlzeit: kostenlose Volksküchen. Etwa die des Arbeiterverbands CTEP in Buenos Aires: Vor zwei Jahren gab man hier noch 50 Mahlzeiten am Tag aus. Heute sind es täglich über Tausend.
«Es ist traurig zu sehen, wie viele Leute neu dazu kommen, manchmal haben wir nicht genug für alle», sagt Köchin Marcela Pezzoni. Wie in einem Restaurant werden die Gäste am Tisch bedient, heute gibt es Eintopf mit Fleischbällchen. In einer Extra-Schlange stehen all jene, die eine Lunchbox dabei haben und das Essen mit nach Hause nehmen.
«Ich bin früher nie in Suppenküchen gegangen»
Francisco Marcos ist zum ersten Mal zu Gast. Der Mittvierziger hat sich die Sonnenbrille ins Haar geschoben und zieht einen Rollkoffer hinter sich her. Bis vor anderthalb Wochen vermietete er Apartments an Touristen. Doch die Firma, bei der er angestellt war, ging pleite. «Bitte entschuldigen Sie, ich bin unrasiert, weil ich nun auf der Strasse lebe», sagt Marcos. «Ich konnte keine Miete mehr zahlen.» An seinem teuren Handy erkennt man: Dem Mann ging es bis vor kurzem noch gut.
Unser Geld ist immer weniger Wert, ich kann mir das Essen schlichtweg nicht mehr leisten.
«Ich bin früher nie in Suppenküchen gegangen», sagt auch Julia Casannelli, eine kokett geschminkte Rentnerin. «Unser Geld ist immer weniger Wert, ich kann mir das Essen schlichtweg nicht mehr leisten. Und so geht es allen in Argentinien, die geringe Löhne haben. Es ist eine Schande.»
Das Parlament hat letzte Woche einstimmig den Nahrungsmittelnotstand beschlossen: Volksküchen sollen nun bald mehr Unterstützung vom Staat bekommen. «Das ist gut», sagt Köchin Pezzoni. «Aber, wäre es nicht besser, die Leute hätten genug, um sich Zuhause selbst etwas zu kochen?» Hoffnung darauf, dass sich die Lage schnell bessert, hat sie nicht.