SRF: US-Präsident Barack Obamas Ziel war immer der Rückzug amerikanischer Truppen aus dem Irak. Jetzt engagiert er sich wieder militärisch im Nahen Osten. Hatte Obama keine andere Wahl?
Daniel Hamilton: Freiwillig ist das nicht. Er hat erkannt, dass der Krisenherd Nahost zunehmend schwieriger wird. Das ist eine menschliche Tragödie. Dort haben wir es mit Gruppierungen zu tun, die nicht nur die Souveränität mehrerer Staaten, sondern auch die USA und Europa bedrohen. Deshalb hat Obama sich entschieden, wieder einzugreifen.
Das ist ein Kurswechsel in der Aussenpolitik Obamas.
Im Kampf gegen den Terrorismus war Obamas Haltung immer klar – und hart. Insofern ist das Eingreifen in Syrien und im Irak konsistent mit seiner bisherigen Politik.
Mussten die USA die Führung übernehmen, weil sonst niemand da war, der das hätte tun können?
So sieht es aus. Obama versucht, eine möglichst breite Koalition zu bilden und bemüht sich jetzt um Partner in Europa.
In Westeuropa stösst die Führungsrolle der USA immer wieder auf Kritik. Gleichzeitig ist man zurückhaltend, wenn es darum geht, in solchen Konflikten eine Führungsrolle zu übernehmen. Ist man in den USA wütend darüber?
Die Frage stellt sich, ob man sich auf Europa verlassen kann. Und die Antwort ist nein. Deswegen muss man mehr unilateral vorgehen. Man kann sich Kritik leisten, wenn man Alternativen anbietet. Aber aus Europa kommt nur Kritik, ohne Lösungsvorschläge. Das sorgt in den USA für Frust.
Hat das Auswirkungen auf das Selbstverständnis der USA als führende Nation der Welt?
Ich glaube, momentan herrscht wieder ein Konsens über die Frage: Wenn die Amerikaner es nicht tun, wer macht es dann? Wir wollen das nicht alleine machen, wir müssen. Das Chaos in dieser Region ist eine Bedrohung.
Entweder wir bringen die Stabilität in den Osten oder die Instabilität kommt nach Westen.
Wir können nicht zulassen, dass unsere Werte und unsere Leute in Gefahr sind. Und Europa betrifft das noch mehr: Dort spielen sich zwei Krisen vor den eigenen Grenzen ab. Die Frage ist: Wo steht Europa und wie stark ist es bereit, sich zu engagieren?
Ihre Antwort?
Es gibt kein Europa. Die Europäer sind zerstritten und zerfleischen sich gegenseitig. Es ist verständlich, dass sich Europa mit den eigenen Problemen auseinandersetzt – denn davon gibt es viele. Aber wir Amerikaner würden uns auch lieber um unsere Probleme kümmern. Aber die Welt wartet nicht, bis wir das gemacht haben.
Während sich die USA im arabischen Raum engagieren, halten sie sich in der Ukraine zurück.
Das enttäuscht mich. Es liegt weder im amerikanischen, noch im europäischen Interesse, dass die Ukraine ein instabiler Faktor in Europa bleibt. Russland fördert diese Instabilität. Die Reformregierung in der Ukraine bietet die Chance, Probleme wie die grassierende Korruption zu bekämpfen. Da müssen wir an ihrer Seite stehen. Die EU hat da aber weitaus mehr Möglichkeiten. Eine Annäherung an Europa ist das Ziel vieler Ukrainer, dort liegt ihre Zukunft. Dabei müssen wir sie unterstützen.
In Bezug auf die Ukraine fährt Obama also noch einen zögerlichen Kurs.
Ich verstehe, warum. Wir sind noch in der Idee einer friedlichen Nachkriegsordnung verhaftet. 1989 fiel die Berliner Mauer und in der Folge der Eiserne Vorhang. Alle dachten, jetzt leben wir in einer Zeit, in der Krieg in Europa nicht mehr stattfindet. Und die Länder, die noch nicht in unserer Gemeinschaft sind, könnten sich uns anschliessen.
Jetzt sehen wir, dass die Veränderungsprozesse im Nachgang der Auflösung der Sowjetunion noch nicht abgeschlossen sind. Regelmässig gibt es bewaffnete Konflikte mit ehemaligen Sowjet-Staaten. Diese eingefrorenen Krisen sind aufgetaut und brodeln. Das ist das Europa von heute.
Entweder wir bringen die Stabilität in den Osten oder die Instabilität kommt nach Westen. Die Zukunft des post-sowjetischen Raums ist unsicher. Der Konflikt in der Ukraine ist also keine Episode, sondern Symptom einer historischen Entwicklung, die noch nicht abgeschlossen ist.
Europa und die USA müssen diese Herausforderung gemeinsam angehen.
Ich glaube schon – und sie müssen mehr tun, als sie bereits getan haben. Das ist die Lektion der jüngeren Geschichte.