Es ist das fast epochale Versagen der europäischen Soft Power: Die Beitrittsperspektive zur EU reicht nicht mehr, um die starken Männer in Belgrad und Pristina im Griff zu haben. Die brutale Verhaftung des serbischen Kosovo-Beauftragten Marko Djurić in Kosovo inklusive Zurschaustellung in den Strassen von Pristina und die düstere Rhetorik des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić sind Zeugnis dafür, dass die Situation zwischen Serbien und Kosovo ausser Kontrolle geraten ist.
Europäische Kabinettspolitik
Statt energisch den Reset-Knopf zu drücken, überlässt die EU das Feld der Grossmacht Russland und auch der Türkei. Das ist brandgefährlich – für die Menschen in der Region, aber auch für Europa. Autoritäre Staaten als Partner wirken unterdessen interessanter als der Westen, der nach dem Zerfall Jugoslawiens in Südosteuropa das europäische Friedensprojekt vollenden wollte. Insbesondere nach der Nato-Intervention 1999.
Doch gerade der sogenannte Normalisierungsprozess in Kosovo unter EU-Schirmherrschaft weist erhebliche Konstruktionsfehler auf: Die EU hat die letzten Deals zwischen Belgrad und Pristina in einer Art Kabinettspolitik über Handschläge der Mächtigen abschliessen wollen. Ohne Beteiligung der Parlamente geschweige denn der Bevölkerung. Mit Demokratie hat das wenig bis nichts zu tun. So hat die Glaubwürdigkeit Brüssels erheblich gelitten. Auch, weil die EU (und auch die Schweiz) zu lange keine kritischen Fragen an die Adresse der herrschenden Ex-Rebellen-Kommandanten in Pristina gestellt haben.
Krim-Szenario?
Gleiches gilt für den Verband kosovo-serbischer Gemeinden. Auf den ersten Blick eine Lösung wie im Berner Jura: Eine föderale Idee, damit auch die Minderheiten angemessen am Staat Kosovo teilhaben können. Doch die direkte Einflussmöglichkeit Belgrads auf den Gemeindeverband macht dieses Gebilde zu einer Art Staat im Staat und untergräbt die kosovarische Souveränität. Brüssel glaubte, Belgrad würde so die Kosovo-Kröte schlucken und im Gegenzug für den EU-Beitritt seine ehemalige Provinz definitiv ziehen lassen.
Doch weit gefehlt. Mit russischem Backup kämpft der serbische Präsident Alkesandar Vučić um immer mehr Einfluss in Kosovo. Gestern hat er in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehen in aller Deutlichkeit den alten Kampf-Slogan der Nationalisten ausgesprochen: Kosovo ist Serbien. Verschiedene Stimmen befürchten seit längerem, im mehrheitlich serbisch besiedelten Norden Kosovos könnten über Nacht «grüne Männchen» die Kontrolle übernehmen. Soldaten in Kampfanzügen ohne Hoheitsabzeichen. Ein Krim-Szenario.
Gute Dienste auf dem Balkan
Noch ist dies eine der vielen Balkan-Spekulationen, aber eine ernsthafte Herausforderung für die Nato-Friedenstruppe KFOR (Kosovo Force), die seit 1999 in Kosovo die Sicherheit garantieren soll. Im Norden Kosovos sind vor allem Soldaten der Swisscoy, dem Schweizer KFOR-Kontingent, eingesetzt. Als Liaison-Monitoring-Teams sind sie von allen Seiten geschätzte Vermittler zwischen allen Akteuren.
Die Schweiz spielt aber nicht nur militärisch eine wichtige Rolle in Kosovo: Sie hat den Staat als eines der ersten Länder überhaupt anerkannt und erheblich unterstützt. Ob zu Recht oder nicht: Das bedeutet eine erhöhte Verantwortung Berns. Gerade weil es im Kosovo nicht um einen ethnischen Konflikt, sondern vor allem um einen Machtpoker geht, könnten die offenen Kanäle der Schweiz zu allen Seiten einen Beitrag zur Deeskalation leisten.