- Die EU-Kommission sieht angesichts der Kämpfe in Äthiopien die Stabilität des ganzen Landes und der Region Tigray bedroht.
- Der EU-Kommissar für Krisenmanagement fordert die Regierung in Äthiopien auf, Hilfsorganisationen in die Provinz Tigray zu lassen.
- Die Zentralregierung hatte vor einer Woche eine Militäroffensive gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray begonnen.
Über die Lage vor Ort ist wenig bekannt. Internet und Telefonverbindungen sind unterbrochen. Laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk wurden Strassen blockiert und die Stromversorgung gekappt. Das Risiko, dass die Gewalt sich ausbreite, ist laut dem EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, sehr real. «Ich fürchte, dass diese Krise katastrophale humanitäre Folgen für das ganze Land hat.»
Schon vor der Krise seien rund drei Millionen Menschen in Tigray und 15 Millionen Menschen im gesamten Land auf humanitäre Hilfe angewiesen gewesen, sagte der EU-Kommissar. Er verwies auch auf 100'000 Flüchtlinge, die Äthiopien aufgenommen habe. Lenarcic forderte die äthiopische Regierung auf, den Hilfsorganisationen Zugang zur Region Tigray zu gewähren. «Schneller und bedingungsloser Zugang ist dringend nötig.»
In einer gemeinsamen Mitteilung erklärten der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell und Lenarcic, eine sofortige Deeskalation sei notwendig. Alle Parteien sollten Zurückhaltung üben und ihre Aufrufe zur Vermeidung der Aufstachelung zu Hass und Gewalt bekräftigen.
Auch Sudan könnte destabilisiert werden
Die Äthiopien-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Annette Weber, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland RND: «Wenn sich der Konflikt regional ausweitet, würde das zu grossen Migrationsschüben auch nach Europa führen.» Es bestehe unter anderem das Risiko, dass das Nachbarland Sudan wieder destabilisiert werde. «Alle Beobachter in der Region sind sehr nervös.» Niemand gehe davon aus, dass Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali den Krieg gewinnen könne.
Zuvor hatten auch bereits internationale Helfer vor einer humanitären Katastrophe gewarnt. «Tigray ist von allen Nachschubwegen abgeschottet», sagte Matthias Späth, Landesdirektor der Welthungerhilfe in Äthiopien, der Deutschen Presse-Agentur. Demnach gibt es in der Region im Norden Äthiopiens ohnehin mindestens 600'000 chronisch mangelernährte Menschen. Diese seien wie die restliche Bevölkerung nun für Helfer nicht erreichbar. Man könne nur mutmassen, wo die schweren Kämpfe stattfänden und wo Hilfskorridore eingerichtet werden könnten, sagte Späth.
Äthiopiens Regierung hatte nach Monaten der Spannungen mit der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) vor einer Woche eine Offensive gegen die Rebellengruppe und Regierungspartei von Tigray begonnen.
Konflikt existiert schon länger
Die TPLF war die dominante Partei in der Parteienkoalition, die Äthiopien mehr als 25 Jahre lang mit harter Hand regierte. Doch als Abiy 2018 an die Macht kam, entfernte er im Zuge von Reformen viele Funktionäre der alten Garde und gründete eine neue Partei. Die TPLF und viele Menschen in Tigray fühlen sich von der Zentralregierung nicht vertreten und wünschen sich grössere Autonomie. Unter Abiy – der im Vorjahr den Friedensnobelpreis erhielt – haben die ethnischen Konflikte in dem Vielvölkerstaat Äthiopien mit seinen rund 112 Millionen Einwohnern zugenommen.