Flüchtlinge auf der Balkanroute werden Opfer von sogenannten Pushbacks. Das heisst, sie werden an der EU-Aussengrenze zurückgedrängt. Das zeigen neue Recherchen der SRF Rundschau und eines internationalen Rechercheteams. Die Bilder zeigen zuschlagende Sonderpolizisten an der EU-Aussengrenze in Kroatien. SRF-EU-Korrespondent Charles Liebherr ordnet die Vorgänge ein.
SRF News: Wie sehr hat die EU ein Problem mit diesen Bildern?
Charles Liebherr: Sie hat ein Problem damit, denn wer Migranten aus der EU rausprügelt, verstösst gegen EU-Recht. So einfach ist das. In der EU-Grundrechtecharta wird das Recht auf Asyl garantiert. Darin ist auch ein Verbot der Ausweisung und Zurückweisung festgehalten. Wenn Kroatien oder ein anderer EU-Staat dagegen verstösst, könnte die EU-Kommission letztlich gegen dieses Land ein Vertragsverletzungsverfahren in mehreren Schritten einleiten. In der Realität ist das dann aber hochpolitisch und kompliziert. Denn die EU-Kommission kann das nur mit der Unterstützung einer klaren Mehrheit der EU-Staaten tun. Häufig ist da der politische Wille nicht sehr ausgeprägt, für klare Verhältnisse zu sorgen.
Pushbacks wurden bereits an der EU-Aussengrenze Türkei-Griechenland aufgedeckt. Damals war die Grenzschutzagentur Frontex der EU im Mittelpunkt. Dieses Mal auch?
Nicht so direkt. Die Frontex hat keine eigenen Beamten direkt an der kroatischen Grenze zu Bosnien-Herzegowina im Einsatz, also ist Frontex nicht direkt betroffen. Indirekt aber schon, denn Frontex unterstützt auch die kroatische Grenzwache mit Satellitenbildern, Luftüberwachung, Ausbildung und so weiter.
Eigentlich müsste sich die Frontex so organisieren, dass die Arbeit der Grenzwächter in Kroatien mit beaufsichtigt wird, zum Beispiel in Bezug auf Einhalten der Grundrechte. Da kritisierte unlängst das EU-Parlament die Frontex sehr scharf, weil eben diese internen Überwachungen sehr schwach sind. Es ist deutlich geworden, dass es hier offensichtlich Interessenskonflikte gibt.
Wie gross ist die Empörung im EU-Parlament, nachdem diese Bilder bekannt wurden?
Die EU-Kommission wird sich rechtfertigen müssen. Das EU-Parlament ist schon lange sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt und macht eigene interne Untersuchungen. Es wird dafür sorgen, dass die EU-Kommission sich erklären und intern mit Kroatien zusammen abklären muss, ob sich diese Vorwürfe bestätigen.
Letztlich fehlt eine Migrations- und eine Einwanderungspolitik, die von einer klaren Mehrheit der EU-Staaten mitgetragen und durchgesetzt wird.
Sie haben es gesagt: Es gibt Regeln. Wieso kommt es doch zu solch unhaltbaren Szenen?
Es fehlen europäische, gemeinschaftliche, politische, klare Vorgaben. Letztlich fehlt eine Migrations- und eine Einwanderungspolitik, die von einer klaren Mehrheit der EU-Staaten mitgetragen und durchgesetzt wird. Jedes Land schaut aktuell eher für sich. Primär geschieht dies aus innenpolitischen Gründen, um zu zeigen, dass man Einwanderungsfragen im Griff hat. Die Realität ist, dass alle Beteiligten selten aus diesem Krisenmodus herausfinden. Das steht tragfähigen Lösungen im Weg.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.