Die EU-Kommission weiss eines ganz genau: Sollte die EU die Flüchtlingskrise nur lösen können, indem sie sich über Menschenrechte und Grundsätze der Genfer Flüchtlingskonvention hinwegsetzt, wäre dies ein fatales Signal.
Deshalb hielt der erste Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, am Mittwoch gleich zu Beginn der Medienkonferenz fest, die EU werde Flüchtlinge nur in Übereinstimmung mit den internationalen rechtlichen Verpflichtungen von Griechenland in die Türkei zurückschicken.
Das Vorgehen
Das heisst: Die EU anerkennt das Recht von jedem einzelnen Flüchtling auf ein individuelles Verfahren. Die Flüchtlinge können also auch weiterhin in Griechenland ein Asylgesuch einreichen.
Die EU wird die Flüchtlinge, welche auf einer griechischen Insel ankommen, nicht einfach zurück in die Türkei schicken. Vielmehr wird Griechenland mit Unterstützung der anderen Mitgliedstaaten jeden Fall einzeln anschauen und überprüfen müssen. Am Ende des Verfahrens soll ein Richter entscheiden, ob ein Flüchtling das Recht auf internationalen Schutz hat oder nicht.
Bis anhin galt, dass Personen mit einem positiven Bescheid auch bleiben dürfen. Das soll sich nun aber ändern. Die EU möchte – trotz Verfahren – auch jene mit einem positiven Bescheid in die Türkei zurückschicken.
Die Argumente
Laut Kommission ist dies rechtlich möglich. Sie stützt sich dabei auf zwei Artikel in der entsprechenden EU-Richtlinie, welche noch nie zur Anwendung kamen. So argumentiert das Gremium, syrische Flüchtlinge könnten bereits heute in der Türkei Schutz gemäss internationalen Kriterien beantragen. Damit könne die EU diese Flüchtlinge auch wieder zurückschicken.
Für die Flüchtlinge aus allen anderen Ländern müsse die Türkei zwar noch rechtliche Voraussetzungen schaffen. Sobald dies passiert sei, könnten aber auch diese Flüchtlinge zurückgeschickt werden.
Die Flüchtlinge haben in beiden Fällen nur eine Chance, sich zu wehren: Sie müssen glaubhaft machen, dass sie individuell in der Türkei bedroht sind. Wenn sie das nicht können, müssen sie zurück. Das bedeutet wiederum, dass Flüchtlinge aus Afghanistan, Pakistan oder Irak praktisch keine Chance mehr auf Asyl in der EU haben. Sie müssen in der Türkei bleiben. Einzig syrische Flüchtlinge sollen von dort aus legal in die EU kommen können.
Die Kritik
Auf diese Weise möchte die EU die illegale Migration stoppen. Ob das Vorgehen rechtlich in Ordnung ist, ist umstritten. Menschenrechtler kritisieren, die Kommission biege die Menschenrechte zurecht. Auch wenn die Kommission den Flüchtlingen das Recht auf ein individuelles Verfahren gewähre, aber trotzdem alle zurückgeschickt werden sollen, sei das Ganze eine Farce. Auch dürfe die Türkei nicht als sicherer Drittstaat anerkannt werden.
Da kann Vizekommissionspräsident Timmermans noch so dezidiert behaupten, die EU halte sich an internationale Verpflichtungen. Für Menschenrechtler ist die Kommission daran, sich über Menschenrechte hinwegzusetzen.